Paradiesische Ansichten
Die kleine Silhouette eines Mannes auf der rechten unteren Bildhälfte verschwindet fast unter dem alles überragenden roten Funkenschweif, diesem rot-orange-gelben Feuerwerk, das seine strahlenden Fäden am schwarzen Nachthimmel der äolischen Vulkaninsel Stromboli spannt. Eine Urgewalt geht von diesem Bild aus, so dass der Blick hängen bleibt und nicht weiterwandern will, sondern nach dem Zentrum der Eruption, nach dem Ursprung dieser ungebändigten Energien sucht. Wie keinem anderen gelingt es dem Naturfotografen Philippe Bourseiller, mit seinen Bildern zu faszinieren und einzufangen. Betrachtet man die farbenprächtigen Fotografien, kommt der Gedanke auf, man habe es hier mit einem Verführer und Täuscher, einem modernen Rattenfänger zu tun. Seine Bilder sind von so ergreifender Schönheit, dass die Gefahr, die von den Naturereignissen und -phänomenen ausgeht, völlig in Vergessenheit gerät. Statt dankbar über die durch die Fotografie geschaffene Distanz zu sein, möchte man in das Bild eintauchen und selbst am Ort des Geschehens weilen, die Respekt einflößende Macht der Natur spüren und dem Schauspiel der Erde beiwohnen.
Seit Bourseiller 1991 den Ausbruch des philippinischen Vulkans Pinatubo begleitet und festgehalten hat, ist er permanent auf der Suche nach neuen, atemberaubenden Naturimpressionen. Ob unter Wasser, zu Land oder in der Luft – keine Perspektive lässt er sich entgehen. Für die großen Magazine der Naturfotografie wie Geo oder National Geographic ist er in die eiskalten Tiefen des Polarmeeres getaucht, hat sich unter die erbarmungslose Sonne der afrikanischen Wüsten begeben oder an den Rändern brodelnder Vulkane Kopf und Kragen für seine begeisternden Fotografien riskiert. Die Elemente des Lebens sind es, die es ihm angetan haben – Feuer, Erde, Luft und Wasser. Das Element Luft ist dabei jedoch meist nur Mittel zum Zweck, um in sie aufzusteigen und die drei anderen Elemente umso eindrucksvoller festzuhalten. Die Bilder, die er macht, haben ihm Weltruhm eingebracht. Fast jeder kennt seine faszinierende Luftaufnahme eines herzförmigen Korallenriffs, welches er im australischen Great Barrier Reef entdeckt hatte.
Bourseiller ist ein Meister des Lichts, der Farben und der Formen. Oft verleiht die Wärme und Ruhe des Tagesanbruchs und -ausklangs seinen Bildern zusätzlichen Charme. Erst in diesen mit viel Geduld gemachten Fotografien wird die farbliche Vielfalt und Pracht unserer Erde deutlich. Auf einem Bild im hawaiischen Vulkan-Nationalpark hat man beispielsweise den Eindruck, dass es sich bei der spritzenden Lava zweifelsfrei um Kunstfarbe handeln müsse, so intensiv schillert das Rot vor dem Schwarz und dem Grau des vulkanischen Gesteins – doch der genaue Blick beweist das Gegenteil. Natur pur! Bourseiller schreckt weder vor dem Großen, noch vor dem Detail zurück. Weder das einen Saharaausschnitt abbildende Panorama noch die Nahaufnahme eines aus dem Seegras blickenden Clownfischs bereiten dem Franzosen Probleme.
Die kurz gehaltenen Texte zu den Bildern von der Umweltjournalistin Sally Zalewski machen zugleich deutlich, wie vergänglich die von Bourseiller festgehaltenen Zustände sind. Zalewski versetzt die zeitlose Faszination der Bilder in die drängende Gegenwart der menschlichen Umweltsünden und macht auf diese Weise die Verantwortung des Menschen für den Erhalt der Natur deutlich. Das pure Vergnügen beim Betrachten dieser Bilder wird so zu einer persönlichen Erfahrung des einzigartigen und unwiederbringlichen Wertes des Planeten Erde.
Einige der Bilder sind von solch bezaubernder Fremdheit, dass man sich als Betrachter auf einem fernen Planeten wähnt. Die Bilder aus der Namibwüste oder die von der russischen Halbinsel Kamtschatka sind nur einige davon, zeigen aber zweifelsfrei die faszinierendsten „Mond- und Traumlandschaften“. Bourseillers Bildband zeigt auch, dass Phänomene wie Säure-, Soda- oder Natronseen keine Folgen des menschlichen Raubbaus an der Erde sind, sondern natürliche Erscheinungen von geradezu erschlagender Schönheit. Ob Salzseen oder Flussläufe, Gesteinsformationen oder Lavaströme, Wüsten- oder Eislandschaften, Wälder, Meere oder Tiere – kein Motiv, welches er nicht auf höchst Aufsehen erregende und einzigartige Weise festgehalten hat.
Kaum ein Bild, bei dem nicht die Frage aufkommt: „Gibt es das denn wirklich?“ Umso schöner und wertvoller, dass sich der Franzose aufgemacht hat, um all diese Orte in ihrer ganzen Faszination und Ausstrahlung festzuhalten. Die Erde ist ein Paradies, das zeigt uns Bourseiller einmal mehr. Und es liegt an uns, wie lange sie dies bleibt.
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