Eine Fotografie und seine Wirkung
"Attendre la surprise, être une plaque sensible" (Auf die Überraschung warten und eine sensible Membran sein), damit umschrieb der international renommierte Fotograf Henri Cartier-Bresson, Mitbegründer der Magnum-Fotoagentur, seine Arbeitsweise. Das Bekenntnis zur spontanen und nicht inszenierten Fotografie könnte man auch dem in Deutschland geborenen Thomas Hoepker mit viel Lob verbunden attestieren. Denn tatsächlich kann seine Fotografie, "Blick von Williamsburg, Brooklyn, auf Manhattan, 11. September 2001", die eigentlich erst 5 Jahre nach 9/11 richtig veröffentlicht wurde, als so ein Beispiel für Spontanität bezeichnet werden.
Kontroverse Reaktionen auf ein (un-)veröffentlichtes Foto
Bisherige Bilder vom Anschlag auf die Twin Towers hatten immer sechs zentrale Motive gehabt: Explosion, Wolke, Ruine, Flugzeug, Panik, Flagge. Später kamen dann Fotos von Rettern hinzu, also Feuerwehrleute, Polizisten und andere Helfer. Aber Thomas Hoepkers Foto war neu, denn es hatte zwar die Rauschsäule der TT in Manhattan im Hintergrund, im Vordergrund saß aber eine Gruppe von Bewohnern Brooklyns, die gänzlich unbeteiligt schienen an dem, was da auf der anderen Seite des Hudson Rivers geschah. Zur selben Zeit etwa erschien auch ein ähnliches Foto von jungen Libanesen im roten Cabriolet, die durch Beirut fuhren (Spencer Platt). Auch diese Fotografie wurde allerdings gänzlich falsch interpretiert. Denn mitnichten waren es "Schaulustige", sondern vielmehr ehemalige Bewohner, die sich die Trümmer ihres Hauses noch einmal anschauen wollten. Vor dieser Art vorschnellen Interpretation warnt auch Ulrich Pohlmann.
Michael Piers, der ebenfalls einen Beitrag zu vorliegender Publikation geschrieben hat, betont, dass die Deutung des "Williamsburg"-Fotos ähnlich ablief: "sie schauen nicht einmal hin", hieß es da etwa in der FAZ. Die Charakterisierung der Abgebildeten als "callous douchbags" oder "concerned citizens" auf der anderen Seite sind die Pole, mit denen es auch in der interamerikanischen Presselandschaft zu heftigen Auseinandersetzungen kam, zu denen sich dann sowohl die Abgebildeten als auch der Fotograf selbst zu Wort meldeten. Interessant ist wohl vor allem auch die Tatsache, dass er die Veröffentlichung fünf Jahre zurückhielt. Mehr dazu in den lesenswerten Essays, die nicht nur aufklären, sondern auch informieren.
Zum Selbststudium für Fotografen und andere Interessierte
Das Foto scheint den Prinzipien der Dichotomie und des double bind so perfekt verhaftet zu sein, dass einige sogar eine Fotomontage ("fauxtography") dahinter vermuteten. Aber mitnichten. Das Foto sei echt. Es stehe sogar in einer Tradition, wie Michael Diers ausführt, der sog. "Conversation pieces", einer Malerei aus dem England des 18. Jahrhunderts, die sich als bürgerliches Genre und Sonderform des Familien- und Gesellschaftsporträts etabliert hatte. Eine im Gespräch befindliche Gruppe vor einer Landschaft, bei dem die kommunikative Interaktion im Mittelpunkt stand, zeichnete dieses Genre aus. Was aber die Betrachter des Fotos von Hoepker besonders empörte, war gerade die Abgewandtheit der Abgebildeten, die sich vor dem welthistorischen Ereignis sich selbst zuwandten, statt dem Ereignis. Die Spannung des Fotos entsteht gerade durch die Nicht-Relation, die doppelte Distanz und scheinbare Distanziertheit der Menschen im Vordergrund zum Hintergrund. "Das ist mir alles andere als Hekuba" möge als würdiger Schluss dieser Diskussion um eines der wohl kontroversesten Fotos zu 9/11 sein.
Weitere Bücher in ähnlicher Ausstattung und Ausführung sind auch zu Barbara Klemms "Öffnung des Brandenburgertores", Caspar David Friedrichs "Schwäne im Schilf" und Thomas Struths "Elisabeth II"-Foto im Schirmer/Mosel-Verlag erschienen. Die Bücher sind jeweils mit Essays, Fotos zu ähnlichen Thematiken sowie Umschlag und im Hardcover auf hochwertigem Papier erschienen. Ideal als Geschenke oder zum Selbststudium für angehende Fotografen.
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