Bischof Godehard von Hildesheim und seine Zeit
Godehard gehört zu den Bistumspatronen der Diözese Hildesheim. Mit diesem prachtvollen Band, dessen kunstvolle Gestaltung für sich genommen ästhetisch vorzüglich, ja meisterlich gelungen ist, spüren Wissenschaftler zahlreicher Disziplinen dem Wirken und der Rezeptionsgeschichte Godehards nach.
Die Leserschaft nimmt das üppig bebilderte Buch zunächst als eine bibliophile Kostbarkeit wahr. Das Fachpublikum mag sich skeptisch fragen, ob es – wie der Band ankündigt – die Perspektive einer „religionspädagogischen Theologie“ überhaupt geben kann. Etwas demütiger formuliert sollen offenbar religionspädagogische Perspektiven zu Godehard aufgezeigt werden, was gewiss verdienstvoll ist, doch eine religionspädagogische Theologie kann es so wenig geben wie eine exegetische oder eine kirchengeschichtliche Theologie. Freilich hat auch die Didaktik im Kanon des Faches den ihr gebührenden Platz. Mit den Begriffen von heute versucht May-Britt Kallenrode die Gestalt des Bischofs zu würdigen. Doch setzte ein Mann des 11. Jahrhunderts auf „interkulturelle Zusammenarbeit, Diskussionen und eine enge Vernetzung“? Historisch scheint es doch sachgerecht zu sein, zunächst die Blickrichtung auf eine ferne Zeit einzunehmen und auf illustre Parallelisierungen zu verzichten, die sicher stets besten Absichten geschuldet sind, aber doch etwas gewagt anmuten. Die Leser dieser Zeit können und müssen sich das Mittelalter, Godehards Lebenswelt, nicht vorstellen, aber die Würdigung von Fragmenten der Geschichte kann einen aufklärenden Charakter besitzen, bei dem Autoren wie Leser auch ihre eigenen Grenzen erkennen, gleichwohl aber den Horizont ihres Wissens erweitern. Christian Schuffels etwa orientiert sich daran, die Forschungsliteratur zu dem „energischen, unbeugsamen und durchsetzungsfähigen Bischof“ zu sichten. Er referiert verdienstvollerweise ausgesprochen kenntnisreich den Forschungsstand und widmet sich unter anderem den vorliegenden Lebensbeschreibungen. Sehr zuzustimmen ist seiner Bemerkung: „Schon jetzt wäre zu wünschen, dass die Forschung künftig besser als bisher kenntlich und sich bewusst macht, wie schwankend der Boden ist, auf dem sie sich zuweilen bewegen muss.“ Daraus ergibt sich auch, dass das Godehard-Bild in einer gewissen Unschärfe bleiben muss, wenn die Darlegungen darüber wissenschaftlichen Standards entsprechen sollen. Spekulationen mögen die Phantasie der Leserschaft anregen, sie sind aber in jedem Fall überflüssig. Dasselbe gilt für Aktualisierungen, denn die Gestalt einer vergangenen Epoche kann notwendigerweise niemals aktuell sein. Schuffels mahnt nachdrücklich eine „solide Quellenbasis“ an, die für kirchengeschichtliche Forschungen unabdingbar ist.
Auch der Begriff Reform ist eher ein zeitgenössisches Modewort, in kirchlichen, politischen und weltlichen Bezügen aller Art. Godehard wird als „Klosterreformer“ etikettiert, der sodann als Diözesanbischof nicht dem „Typus des ottonisch-salischen Reichsbischofs“ entsprach. Andreas Bihrer erörtert dies substanziell wertvoll, einfach gesagt bleibt für Godehard die geistliche, also spirituelle Dimension auch im Bischofsamt unverzichtbar. Das war für Bischöfe seinerzeit nicht selbstverständlich, und wer in Anbetracht der Papstwahl die Flut kirchenpolitischer Kommentare in den Medien sich vergegenwärtigt, der mag immer wieder feststellen, dass auch heute die bestimmenden Wahrnehmungsweisen sehr einseitig sind. Auch in Monika Suchans grundsätzlich lesenswertem Beitrag bleiben theologische und auch religiös musikalische Leser skeptisch, wenn dort berichtet wird, dass Godehard „trotz seiner nicht-adligen niederen Herkunft Karriere machte“. Ein Verständnis von Karriere war dem 11. Jahrhundert gänzlich fremd, noch heute bezeugt der Begriff – auf die Kirche bezogen – ein grundsätzliches Missverständnis: Für den Bischof bedeutete die Nachfolge Christi stets Passionsgemeinschaft, niemals aber ein Aufstieg. Natürlich hat es zu allen Zeiten kirchliche Würdenträger gegeben, die ihrem Auftrag nicht gerecht wurden, weil sie nach säkularen Motiven handelten, aber für Godehard gab es mitnichten ein karrieristisches Motiv. Wer von „Karriere“ spricht, bedient sich der Sprache des 21. Jahrhunderts. Insoweit gibt auch die folgende Bemerkung Suchans zu denken: „Godehards Leben bestimmten Bücher nachhaltig. Sie eröffneten ihm eine Karriere, die ihm normalerweise verschlossen geblieben wäre, und prägten sein Handeln wie seine Persönlichkeit.“ Ob das Hantieren mit solchen weltlichen Begriffen das kirchengeschichtliche Verständnis vermehrt oder ein solches fördert, erscheint zweifelhaft. Mit Skepsis zu bedenken ist auch die assoziative Verwendung des Begriffs „Virtualität“, die Jörg Bölling vorschlägt, denn dem Mittelalter ist das, was in unserer Zeit damit verknüpft wird, gänzlich fremd. Der Verweis auf das Historische Wörterbuch der Philosophie wäre hier zumindest nicht weniger dienlich als der Verweis auf die sozialen Medien in der Welt von heute.
Abschließend seien noch die religionspädagogischen Perspektiven knapp gewürdigt, die Christina Kalloch aufzeigt. Berechtigterweise übt sie Kritik daran, dass Heilige oft nur als „allgemeingültige Projektionsfiguren von pädagogischem Wert“ vorgestellt wurden und als „geschichtslose Märchenfiguren“ im Religionsunterricht auftauchten. Kalloch spricht sich für die „geschichtliche Verortung von Heiligen“ aus und fordert die Berücksichtigung des elementaren Wissens, quasi im Vorfeld jeder didaktischen Elementarisierung. Vor allem taugen die Heiligen – so auch der heilige Godehard – nicht als Garanten für „zeitlos gültige Werte“. Dazu lässt sich auch ganz einfach erläutern, dass in der katholischen Kirche keine Tugendbolde oder Moralapostel verehrt werden, sondern Heilige, die freilich manchmal mit Tugendbolden und Moralaposteln gleichgesetzt werden. Es ist verdienstvoll, dass Christina Kalloch en passant hier für eine geschichtsbewusste Religionspädagogik votiert. Möge diese wichtige Anregung in der Theologie heute und im Religionsunterricht Berücksichtigung finden.
Insgesamt liegt ein glanzvoller, reichhaltiger Band über den Hildesheimer Bischof Godehard vor, in einer nahezu monumentalen Ausstattung. Dieses Buch verdient es, mit Sorgfalt studiert zu werden, auch wenn jegliche Aktualisierungen durchaus kritisch reflektiert werden können und dürfen. Letztlich sind dies Gedankenspiele, die einige als inspirierend ansehen mögen, während andere Kirchengeschichte eher als Kirchengeschichte begreifen wollen und im Gestern keine Impulse für Fragen der heutigen Zeit suchen. Dieser im Ganzen gehaltvolle Band über Bischof Godehard verdient eine interessierte Leserschaft und eine breite Rezeption.

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