Birgit Vanderbeke: Das lässt sich ändern

Adam und die anderen

Der erste Satz des neusten Buches von Birgit Vanderbeke "Ich weiss nie ganz genau, ob Adam Czupek meine Rettung oder mein Verhängnis ist oder womöglich beides" ist Programm einer Geschichte, die einerseits stark von Ereignissen unserer Zeit geprägt ist, andererseits auch immer wieder ins Märchenhafte abdriftet. "Das lässt sich ändern" ist denn auch das Motto des Protagonisten Adams, der einem grossen Sammeltrieb verfallen ist, Sperrmüll in Massen nach Hause schleppt und diesen zu etwas Nützlichem umfunktioniert. Seit Adams Kindheit ist dieser "draussen", während die Ich-Erzählerin, Tochter eines Big Boss und aus gut bürgerlichem Hause stammend, einst "drinnen" war und davon keine Ahnung hatte, bis sie Adam kennenlernte. Ein Paar voller Gegensätze: Adam riecht nach Werkstatt, nach Holz und Metall und glaubt nicht an Sprache, sprechen bringe nicht viel, sie hingegen ist frischgebackene Linguistin, die in erster Linie und bedingungslos an verbale Kommunikation glaubt.

Die beiden Welten lassen sich nicht vereinen: "Immer wenn wir in der Anfangszeit seine mit meiner Welt bekannt machen wollten, wollte die eine Welt die andere gar nicht kennenlernen, sondern die Welt bleiben, die sie schon immer gewesen war." Bald wird die Erzählerin schwanger, Adam zieht zu ihr, Sohn Anatol kommt auf die Welt und Monate später auch Tochter Magali. Als sich die vierköpfige Familie im Alltag organisiert zu haben scheint, wird sie aus der Wohnung geworfen. Wie aus heiterem Himmel taucht glücklicherweise die Studienkollegin Fritzi auf, die von ihrer Patentante soeben ein Haus auf dem Land geerbt hatte. Das Haus befindet sich in schlechtem Zustand, Adam geht sich das mal anschauen und bevor sie sich richtig besinnen können, wohnen die fünf in einer Wohngemeinschaft in Ilmenstett, wo sie Mitte der Neunzigerjahre auf der Streuobstwiese des nachbarlichen Bauers ein Basislager aufbauen: "Triple-A, Asis, Alte, Arme, es ging um Essen, Klamotten, Dach überm Kopf, und nur Fritzi und ich hatten pro forma noch ein Konto."

Die Frage nach dem "drinnen" und "draussen" hat sich erübrigt, ohne davon zu träumen, wird der Traum des Aussteigens wahr. Was am Anfang Schritt für Schritt glaubhaft beschrieben wird, gerät aus erzählerischer Sicht plötzlich etwas ausser Kontrolle. Mit dem Fortschreiten der Erzählung verliert diese an Glaubhaftigkeit. Adam mag ein grossartiger Mensch und Macher sein, wie er alle Aussenseiter des Dorfes in seinem Basislager vereint, ohne dabei auf Probleme oder zwischenmenschliche Divergenzen zu stossen, ist auf jeden Fall bewundernswert, aber leider nur bedingt überzeugend. Als Leser wünschte man sich Kanten und Konfrontationen, die den Menschen Adam als solchen zu erkennen geben würden. So leidet denn auch die Liebesgeschichte, die "Das lässt sich ändern" neben der Aussteiger-Geschichte natürlich ebenso ist, an derselben Schwäche: Der Überhöhung Adams. In welchen Situationen Adam der Erzählerin wirklich zum "Verhängnis", welches diese am Anfang der Erzählung voraussagt, werden sollte, bleibt unklar. Sicher eine schöne Liebesgeschichte, Liebe und Freundschaft machen den Wandel möglich - vielleicht aber auch ein bisschen altmodisch. Mann taucht auf, sagt mit wenig Worten und vielen Taten wo’s lang geht, die Frau lässt alles liegen und folgt dem Angebeteten nahezu blind vor Liebe und Bewunderung in ein neues Leben.

Also doch das Märchenhafte. Nur lässt sich dieses wiederum schlecht mit der doch sehr aktuellen Gesellschaftskritik, die anhand von Adam geäussert und als Gegenvorschlag von diesem gelebt und verkörpert wird, vereinen. Die Kritik ist zu gegenwärtig, als dass man die Geschichte in erster Linie als Märchen, als fiktive Liebesgeschichte lesen könnte. Kritik ist gut, doch die vorgelebten Alternativen sind zu einfach und mögen der Komplexität der gesellschaftlichen Strukturen nicht gerecht werden. Oft scheinen die Lösungen Adams etwas gar einfach.

Sieht man von gewissen inhaltlichen Widersprüchen und Unzulänglichkeiten ab, liest sich "Das lässt sich ändern" dank der Vanderbeke’schen Sprache und Erzählweise gern, ist kurzweilig und unterhält bestens. Viele Muster einer vergangenen Zeit und Generation werden ironisch-komisch beschrieben und Bilder von damals in die Gegenwart zurück geholt. Birgit Vanderbeke ist 1956 in Brandenburg geboren worden und wurde für "Das Muschelessen" 1990 mit dem Ingeborg Bachmann-Preis ausgezeichnet, heute lebt Vanderbeke in Südfrankreich.

Das lässt sich ändern
Das lässt sich ändern
160 Seiten, gebunden
Piper 2011
EAN 978-3492054560

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