Bildrhetorik, was ist das eigentlich?
Am besten lassen wir dazu Joachim Knape, den Herausgeber dieses Bandes, zu Wort kommen: "Die Rhetoriktheorie schwankte bereits in der Antike zwischen zwei Konzeptionen. Die aristotelische Tradition sah die Rhetorik in erster Linie als Überzeugungskunst (ars persuadendi). Die hellenistische und Teile der römischen Rhetoriktradition betonten eher das Konzept einer Ausdruckskunst, also einer Rhetorik des guten Formulierens (ars bene dicendi)."
Nun ja, sagt sich da der interessierte Laie, das Eine schliesst ja das Andere nicht aus, doch für den interessierten Laien ist dieser Band nicht gedacht, denn diesem Laien fehlt in der Regel (sicher, es mag Ausnahmen geben) die Lust und Energie, sich mit den Definitions- und Abgrenzungsfragen auseinanderzusetzen, die Joachim Knape umzutreiben scheinen: "An eine zufrieden stellende Definition des Begriffs "Bildrhetorik’ gibt es bisher nur erste Annäherungen. Dies hängt damit zusammen, dass die ganze wissenschaftliche Problematik der Bild-Kategorie noch keineswegs in wünschenswerten Umfang aufgearbeitet ist. Erst langsam wird allgemein die Differenz begriffen, zwischen dem, was als theoretischer Hintergrund von Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft, und dem, was als theoretische Basis einer sich in viel versprechenden Anfängen befindlichen Bildwissenschaft anzusehen wäre. Und erst langsam wird deutlich, wie sich allein schon in den terminologischen Undifferenziertheiten der Entwicklungsbedarf bildwissenschaftlicher Theorie gegenüber all dem spiegelt, was sprachbezogene Disziplinen inzwischen längst erreicht haben."
Um den Beiträgen in diesem Band etwas abgewinnen zu können, muss man zuerst den von den Autoren gepflegten akademischen Jargon lernen (mit dem gleichen Aufwand könnte man sich allerdings locker auch Italienisch aneignen). Gelegentlich erläutert ein Autor (in diesem Falle Lambert Wiesing in seinem Beitrag "Zur Rhetorik des Bildes’) diesen gleich selber: "Die Frage "Wie sieht der rhetorische Gebrauch eines Bildes aus?’ ist identisch mit der Frage "Wie sieht ein gutes Kunstwerk aus?’", mit dem Unterschied, ist man da versucht zu sagen, dass die Frage Nummer zwei auch vom Laien verstanden werden kann. Bleiben wir für einen Moment bei Lambert Wiesings Beitrag, der sich unter anderem mit Fragen der Sichtweise auseinandersetzt: "… das Bild, welches Sichtweisen überwindet, weil es die Welt nicht interpretieren will, versucht eine Sache so zu zeigen, dass der Betrachter zu der Meinung gezwungen ist, nicht ein Bild von der Sache, sondern die Sache selbst zu sehen. Wenn dies wirklich gelingen sollte, dann kann in der Tat behauptet werden, dass die bildliche Sichtweise überwunden ist. Genau dies ist das Ziel der Suche nach dem immersiven Bild oder der virtuellen Realität." Aha, doch wie soll das praktisch gehen, wie kann ein Bild von einer Sache etwas anders als ein Bild von einer Sache sein? Ceci n’est pas une pipe, nannte René Magritte bekanntlich sein Bild einer Pfeife. Wiesing führt das Panorama als ersten "Meilenstein auf diesem Weg zum immersiven Bild" an, denn "im Panorama wird dafür gesorgt, dass kein Widerstreit zwischen der Wahrnehmung des Bildes und der Umgebung entsteht, dass der Betrachter also meint, die Sache selber zu sehen und als Betrachter selbst am Ort des abgebildeten Geschehens zu sein." Beim Cyberspace ist das ähnlich: "Kein Drehen des Kopfes führt den Blick jemals aus dem Bild in eine widerstreitende Realität. Doch das heisst auch: Ein virtueller Gegenstand, wie er im Cyberspace generiert und gesehen werden kann, ist ein künstlicher, im Bild generierter Gegenstand, der - weil er ohne sichtbaren Widerstreit und sichtbarer Sichtweise gegeben ist - nicht als Bildobjekt, sondern eben als Gegenstand betrachtet wird."
Die vorangegangenen Zitate sind für die Texte in diesem Band (bezüglich der Art und Weise des Herangehens an die Themen und bezüglich des Differenzierens) recht repräsentativ. Zu fragen wäre, ob dieses Differenzieren substanziell was bringt? Nun, das kommt ganz drauf an, was man erwartet, doch etwas schlauer macht einen die Lektüre streckenweise schon und das ist ja nicht wenig.
Eine breite Palette von Themen werden neben dem bereits erwähnten von Lambert Wiesing (Die Rhetorik des Bildes) in diesem Band angeboten. Sie seien hier vollständig aufgeführt, damit sich der potentielle Leser eine Vorstellung machen kann, was ihn beim Kauf dieses Buches erwartet: "Können uns Bilder überzeugen?" von Klaus Sachs-Hombach & Maic Masuch (wie gesagt, dies ist ein akademisches Buch und wer eine eindeutige Antwort erwartet, ist selber schuld), "Figuren der visuellen Rhetorik in werblichen Gesamttexten" von Christian Doelker (hier erfährt man unter anderem was die Zürcher Medienpädagogik unter "Gesamttext’ versteht und wie man Bildtexte nach Funktionen unterscheiden kann und dass Surrogatbilder eine simulative Funktion, Spurbilder eine registrative Funktion haben usw. - wie bereits erwähnt: ein grundsätzliches Interesse an Bildern ist zum Verständnis vieler dieser Texte, und speziell diesem, klar zu wenig): "Zur bildrhetorischen Wirkungsästhetik im Barock: Ein Systematisierungsversuch nach neurobiologischen Modellen" von Ulrich Heinen; "Die Werkstatt der Humanisten: Zur produktionstheoretischen Betrachtung der Künste in Antike und früher Neuzeit" von Nadia J. Koch; "Dialog-Inszenierung. Zur Rhetorik des Bildes" von Gert Ueding; "Perspektive als rhetorische Form: Kommunikative Funktionen der Perspektive in der Renaissance" von Frank Büttner; "Malerei, Rhetorik und coup-d’oeil Wahrnehmung bei Antoine und Charles Coypel" von Sergiusz Michalski; Rhetorik und Malerei in der französischen Klassik" von Aron Kibédi Varga; "Inwiefern Ekphrasis keine Bildbeschreibung ist. Zur Geschichte eines missbrauchten Begriffs" von Raphael Rosenberg; "Rhetorische Merkmale und Verfahren in Darstellungen der Grablegung Christi von Mantegna, Raffael, Pontormo und Caravaggio. Zur Analogisierung und Ausdifferenzierung von Rhetorik und Malerei in der Frühen Neuzeit" von Wolfgang Brassat; "Stil als Bildrhetorik beim jungen Rembrandt" von Carsten-Peter Warncke; "Von der ästhetischen Illusion zur Zeichenmaterialität. Ekphrasis in Heinrich von Kleists Zerbrochnem Krug" von Heinz J. Drügh; "Heidegger im Bild" von Wolfgang Ulrich sowie "Bildrhetorik in der Warburgtradition. "Pathosformeln’, "Schlagbilder’ und "Topoi’ am Beispiel Berlusconi" von Anne Ulrich.
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