Portrait der Alpen
Mit diesem Buch liegt nun endlich ein Bildband über die Alpen vor, der nicht darauf abzielt, die "Schönheit der Natur" dieser Region zu preisen, tatsächlich aber lediglich Klischees in den Köpfen der Betrachter bedient. Der Atlas von Werner Bätzing ist ein echtes "Portrait" der Alpen - eines, das den Blick auf die Charakteristika dieses Hochgebirges lenkt und "Landschaften lesen" lehrt (S. 103). Natürlich findet man hier viele schöne Bilder, sogar einige "typische".
Doch zuerst entlarvt der Autor dieses typische Abbild der Alpen, das immer wieder neu von Kalendern, Postkarten und Bildbänden gezeichnet wird, als Zerrbild. In der Realität sehen die Alpen nur an wenigen Stellen so romantisch aus: ein sanfter, landwirtschaftlich genutzter Landschaftsteil im Vordergrund, im Hintergrund eine steile, abweisende Felswand oder schneebedeckte Gipfel. "Das Ziel dieser Bildkomposition ist es, durch den Bildaufbau beim Betrachter einen stark emotionalen Eindruck auszulösen [...]. Die Fels- und Gipfelregion muss, bzw. soll feindlich sein, die menschliche Region im Tal muss, bzw. soll den Charakter einer Idylle besitzen, sodass zwar eine bedrohte, letztlich aber perfekte Harmonie zwischen Mensch und Natur sichtbar wird, bei der sich der Mensch in die vorgefundene Alpennatur einpasst, ohne sie zu verändern." (S. 12f) Aber genau dies tut der Mensch seit Jahrhunderten: Er verändert die Alpennatur tiefgreifend und hat das Gebirge in eine Kulturlandschaft umgestaltet.
Wie der Urzustand der Alpen war, lässt sich nur an wenigen Stellen erahnen. Doch ist durch die menschliche Nutzung eine sehr artenreiche Landschaft entstanden, die jedoch zu ihrer Erhaltung intensiver Pflege bedarf. Diesen Prozess sowie die Veränderung der Landschaft durch weitgehendes Aufgeben der traditionellen Nutzung hat Werner Bätzing in seinem informativen Buch "Die Alpen" (C.H. Beck, 2003) ausführlich dargelegt. Der neue Bildband stellt nun eine Art "Illustration" dazu dar.
Der Betrachter wird angeleitet, die Alpen sachlich zu betrachten. Dazu muss der Autor zunächst gegen Vorurteile angehen; so war dieses Gebirge in vorindustrieller Zeit kein "Ungunstraum", sondern bot dem Menschen durchaus günstige Lebensbedingungen mit teilweise sehr fruchtbaren Böden, z.B. auf Schwemmkegeln. Verschiedene Höhenstufen wurden in einem ausgeklügeltes System genutzt, das ganz gezielte Eingriffe vornahm. Beispielsweise wurde der Wald nur an flachen Stellen gerodet, an steilen Hängen aber ließ man ihn stehen. Regelmäßiges, aber nicht zu häufiges und zu intensives Mähen und Beweiden sorgte dafür, dass sich viele Pflanzenarten halten konnten, ohne dass sich einige wenige Pflanzen zu Lasten aller anderen durchsetzten. Arbeitsaufwändige Pflegemaßnahmen sicherten die Erhaltung der wertvollen Agrarflächen. Wie dies geschah und was passiert, wenn die Nutzung - und damit auch die Pflege - dieser Flächen einfach eingestellt oder verändert wird, dokumentiert Bätzing mit zahlreichen Bildern. So lernt der Leser, die Alpen ganz anders wahrzunehmen: Wie bestimmt die Geologie die Landschaft, wie haben eiszeitliche Gletscher sie geformt? Wie unterscheiden sich germanische und romanische Berglandwirtschaft voneinander und woran kann man auch heute noch die Unterschiede erkennen? Wichtig ist die Einsicht, dass es im Agrarzeitalter nicht eine "naturgemäße" Art gab, die Ressourcen der Alpen zu nutzen, sondern es waren verschiedene Formen der Nutzung möglich; der Mensch unterwarf sich auch in früheren Jahrhunderten "beim Entwurf seiner Siedlungs- und Nutzungsstrukturen keinesfalls der Natur", sondern im Gegenteil realisierte er "seine kulturellen Strukturen, Muster und Werte in der Kulturlandschaft", gestaltete die Natur also nach seinen Ideen um (S. 102). Das bedeutet, dass auch der heutige Tourismus nicht automatisch zu Umweltzerstörung führen muss. Bätzing erläutert dies am Beispiel der Skipisten: Wenn diese "aufwändig gepflegt und Schäden jeweils sofort repariert werden, dann ist es möglich, sie ökologisch so stabil zu halten, dass keine Probleme mit Bodenabtrag und Hochwasser entstehen." (S. 136) Doch dies geschieht natürlich heute nicht überall, es wäre aber grundsätzlich möglich. Der Autor weist aber auf ein weniger bedachtes Problem hin: Wird ein Skigebiet eines Tages nicht mehr genutzt deshalb auch die arbeitsintensiven Pflegearbeiten eingestellt, werden die früheren Pisten zur "ökologischen Zeitbombe".
Interessant ist auch die Beobachtung, dass die Erschließung der Alpen durch den Straßenverkehr benachbarte Alpentäler "real und mental immer weiter voneinander" entfernt sowie die "wirtschaftliche und kulturelle Außenorientierung des Alpenraumes und die Dominanz der Stadt über das Land" fördert; "man ist meist schneller in der nächsten Stadt als im Nachbartal", weil man dazu nicht mehr die alten Saumwege über die Höhe benutzt, sondern entweder weit talabwärts vom Alpenrand her oder über eine lange Strecke in einem Alpenlängstal die Mündung des Nachbartales erreichen kann (S. 125). Praktisch nie werden Alpentäler untereinander durch Pässe oder gar Tunnel verbunden.
Deprimierend ist die von Bätzing bereits in "Die Alpen" dargelegte Tatsache, dass dieses Gebirge einerseits durch den Tourismus, andererseits weil sie in den Sog der sie umgebenden Großstädte geraten, verstädtern bzw. gar "vervorstädtern". Etwa zwei Drittel der Alpenbevölkerung leben heute in Städten; diese wiederum verlieren ihre Eigenständigkeit und werden zu Vorstädten von München, Zürich, Bern, Genf oder Milano. Ihr "Alpenbezug" verschwindet dadurch: Die Städte werden von Alpenstädten zu Städten in den Alpen. Und dieses Schicksal droht auch Alpenstädten wie Innsbruck, das bis heute der nächsten außeralpinen Metropole München gegenüber seine Eigenständigkeit bewahren kann. Das Tessin ist der am meisten verstädterte Alpenraum; 90% der Bevölkerung leben hier in den Stadtregionen - mit Problemen durch Verkehrslärm und Luftverschmutzung, die oft größer sind als in Großstädten, weil die bandartige Lage der städtischen Alpenregionen in den Tälern einerseits mehr Verkehr verursacht, andererseits die steil ansteigenden Talränder Lärm und Abgase "gefangen" halten. Parallel zur Verstädterung findet vor allem im südlichen Alpenraum eine rasante Entsiedlung weniger verkehrsgünstiger Lagen statt.
Viele dieser Details und Probleme hat man vielleicht nie zuvor bewusst wahrgenommen. Deshalb sei gerade auch Touristen, Extrem-Sportlern oder traditionellen Wanderern dieser Bildatlas wärmstens empfohlen. Sie werden die Alpen nach dessen Lektüre ganz anders und viel intensiver sehen und schätzen.
Den etwa 14 Millionen Menschen, die insgesamt in den Alpen leben aber rät Werner Bätzing, ihre Interessen im Rahmen der Alpenkonvention in Europa deutlicher als bisher zu vertreten, um so der Gefahr zu entgehen, dass ihr Lebensraum vollständig von außen dominiert wird.
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