Sieben Geschichten - sieben Lebenslügen
Bernhard Schlink erzählt in seinem neusten Erzählband "Sommerlügen" sieben Geschichten und gleichzeitig sieben Lebenslügen. Sieben Geschichten, sieben Lügen - es könnte auch eine einzige sein, denn das Milieu, die Stimmung und die Hauptfiguren der verschiedenen Erzählungen ähneln sich sehr. In sechs Geschichten wird aus der Perspektive eines Mannes erzählt. Dabei handelt es sich um Männer, die mit Ausnahme von Richard in "Nachsaison" alle wohlhabend - auch Richard könnte es werden, lernt er doch im Sommerurlaub die durch Erbe reich gewordene Susan kennen - und gut gebildet sind. Geld spielt insofern (k)eine Rolle, als es immer im Überfluss vorhanden ist und dieser Überfluss - Sommerhaus dort, Zweitwohnung da - gern beiläufig erwähnt wird, so, als gäbe es keine andere Lebensformen.
Das Milieu, in dem sich die Protagonisten bewegen, befremdet und langweilt spätestens nach der dritten Erzählung, eben deshalb, weil es so konsequent durchgehalten wird. Natürlich kann davon ausgegangen werden, dass diese Gleichförmigkeit bewusst gewählt ist, nur fällt es schwer, die dahintersteckende Absicht zu erkennen. Falls es einzig darum geht, verschiedene Lebens(abschnitt)entwürfe und -verwürfe innerhalb ein und derselben Gesellschaftsschicht vorzuzeigen, dann wird der Leser mit den sieben Geschichten zu wenig gefordert.
Natürlich: Bernhard Schlink schreibt angenehm, erzählt in schöner und schlichter Sprache - die Texte lesen sich leicht und gern. Besonders feinfühlig erzählt ist die Reise von Vater und Sohn nach Rügen, wo die beiden erwachsenen Männer während eines Wochenendes Konzerte von Johann Sebastian Bach besuchen. Ziel des Sohnes ist, den Vater endlich richtig kennenzulernen, denn "er wollte nach seinem Tod mehr von ihm haben als eine Fotografie auf dem Schreibtisch und Erinnerungen, auf die er gerne verzichtet hätte." "Lüge" einmal anders und unausgesprochen - Vater blockt ab. Was nicht thematisiert und worüber nicht gesprochen werden kann, lastet schwer. Auf der Rückfahrt bei Regen und Bachs Motetten kommt es spät und unerwartet doch noch zu einer Annäherung: "Er […] sah zu seinem Vater. Er saβ, wie er immer saβ, aufrecht, die Beine übereinandergeschlagen, die Arme auf die Lehnen gelegt und die Hände von den Lehnen hängend. Ihm liefen die Tränen übers Gesicht. […] Sie standen unter der Autobahnbrücke, bis das Gewitter vorbei und die Musik zu Ende war. Der Vater wischte sich mit dem Taschentuch übers Gesicht. Dann faltete er das Taschentuch ordentlich zusammen. Er lächelte seinen Sohn an. "Ich glaube, wir können fahren.""
"Die Reise nach Süden" handelt ähnlich wie "Der letzte Sommer" vom Abschied nehmen und Lebensfazit ziehen. Emilia hört eines Tages plötzlich (für den Leser schwer nachvollziehbar) damit auf, ihre Kinder zu lieben. Sie beginnt zu hinterfragen, wie das Leben gewesen wäre, wenn sie sich einst für die grosse Liebe entschieden und nicht den Sohn von Bekannten geheiratet hätte. Das Fazit ist ein ernüchterndes: "Ich hatte Angst vor dem Leben mit Adalbert, vor der Armut, in der er aufgewachsen war und die ihm nichts ausmachte, vor seinen Gedanken, vor dem Bruch mit meinen Eltern. Helmut war meine Welt, und ich bin in meine Welt geflüchtet." Gleichzeitig beschäftigt sich der pensionierte Professor Thomas mit der Frage, ob er jemals glücklich gewesen sei oder immer nur nach der Vorstellung vom Glück gelebt habe. Er lädt seine Frau, Kinder und Enkelkinder zu einem letzten Sommer im Ferienhaus ein. Dass es der letzte gemeinsame Sommer sein wird, weiss jedoch nur er, will er doch seinem Leben ein vorzeitiges Ende nehmen: Eine der grösseren Sommerlügen.
Ging es in "Das Wochenende" (2008) und in "Der Vorleser" (1995) um die Vergangenheitsbewältigung grosser polit-historischer Themen (RAF und Nationalsozialismus), entwickeln und vollziehen sich die Geschichten in "Sommerlügen" zwar an persönlichen Erlebnissen, die ausserhalb gesellschaftlicher Gemeinplätze liegen, handeln jedoch ebenso von deren Verarbeitung.
Aus biographischer Sicht haben die Hauptfiguren in "Sommerlügen" einiges mit Bernhard Schlink gemein. Es tauchen in New York lebende Juristen und Schriftsteller auf - die drei Stichworte treffen ebenso auf Schlink zu - welche auch vom Alter her zu einem grossen Teil in der Nähe des Autoren angesiedelt werden können. Bernhard Schlink, dessen Name zu den grossen der Gegenwartsliteratur gehört, sind sieben überzeugende Geschichten gelungen, welche einzeln gelesen zum Nachdenken anregen, zahlreiche Fragen aufwerfen, schön arrangiert und in sich stimmig sind. In der Aneinanderreihung der Texte verlieren sie leider beträchtlich an Wirkung.

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