Als der Pott noch kochte
Inzwischen sind einige ihrer Schüler bekannter, als sie selbst. Candida Höfer, Axel Hütte, Jörg Sasse und Petra Wunderlich gehören dazu, aber auch die als Struffsky-Gruppe berühmt gewordenen Thomas Struth, Thomas Ruff und Andreas Gursky. Die zuletzt genannten sind die bekanntesten und erfolgreichsten Schüler, die Bernd und Hilla Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie ausgebildet haben. In ihren fotografischen Werken lebt das Erbe einer Schule, die wie keine andere die deutsche Fotografie derart nachhaltig geprägt hat. Die rationale "Schule des Sehens", die Bernd und Hilla Becher an der Kunstakademie Düsseldorf gelehrt haben, steht im Zentrum der deutschen Gegenwartsfotografie.
Bernd Becher studierte zunächst Malerei in Stuttgart, bevor er sich in Düsseldorf der Typologie widmete. Dort lernte er Hilla Wobeser kennen, die Ende der 50er Jahre nach ihrer Fotografenlehre in Potsdam direkt nach Düsseldorf kam. 1961 heiratete Bernd Becher die damals 27 Jahre junge Hilla. Gemeinsam bereisten sie die Welt und erkundeten mit der Kamera die Prozesse der Industrialisierung. Als Paar bildeten beide ab den 1970er Jahren den fotografischen Nachwuchs der Republik aus.
Die lebenslange Leidenschaft der Bechers galt der Industriearchitektur. Ihr Werk ist eine einmalige und unwiederbringliche Sammlung von Industrieanlagen. Sie besteht aus Wassertürmen, Gasbehältern und Kühlanlagen, Hochöfen und Kohlebunker, Fabrikhallen und Förderstrecken (die fast in Vergessenheit geratenen Fachwerkhäuser im westfälischen Siegerland sollen hier nicht unterschlagen werden).
Zwei grandiose Fotobände erinnern im Jahr "Ruhr. 2010", dem Programm der Europäischen Kulturhauptstadt Essen, an die Industriefotografie von Bernd und Hilla Becher und liefern einmalige Ein- und Überblicke in das Mysterium des Bergbaus. Der Bildband "Bergwerke und Hütten" versammelt insgesamt 154 Duotone-Tafeln, auf denen eine faszinierende Industrielandschaft zu sehen ist, die das Ruhrgebiet prototypisch als Heimat des Bergbaus seit mehr als 150 Jahren geprägt hat. Die sachlichen und völlig unaufgeregten Fotografien machen deutlich, wie Bernd und Hilla Becher vorgegangen sind. Mit einer Kamera ausgestattet bereisten Sie mit dem Bus die deutschen, europäischen und amerikanischen Bergbaumetropolen und fingen deren Ufo-artige Erscheinung inmitten idyllischer Landschaften ein. Entstanden sind Aufnahmen von Industrieanlagen, die zwar regionale Besonderheiten haben, aber zugleich den globalen Konsens einer rationalen Ästhetik hervorheben. Abgesehen von einigen einfach gezimmerten Fördertürmen in Pennsylvania wirken die Bergwerke und Hütten wie riesige Fremdkörper, die inmitten unberührter Natur mit aller Gewalt in den Boden gerammt wurden und nun die Aufgaben hatten, sich langsam durch das Erdreich zu fressen.
Zumindest in dem Zechen schließenden Europa befindet sich der Bergbau auf dem Rückzug. Bernd und Hilla Bechers spektakuläre Schwarz-Weiß-Fotografien bekommen so fast eine nostalgische Note. Die abgelichteten Bergwerke wirken wie gigantische, in sich geschlossene Städte, die sich nach unten ausdehnen und von denen man nur, schmutzigen Eisbergen gleich, die Spitzen einfangen kann. Die Hütten hingegen erwecken den Eindruck, als seien sie das fehl platzierte Getriebe eines riesigen Rennwagens. Man spürt förmlich das Beben des Pulses, der durch die Rohre und Lüftungsanlagen dieser überdimensionalen Anlagen jagt. Egal ob in Ost- oder Westdeutschland, Frankreich, Großbritannien oder den USA, stets symbolisieren diese Industrieanlagen den zweifelhaften Triumph des menschlichen Fortschritts über die Natur.
Neben dieser retrospektiv über die Bilder gelegten moralischen Lesart kann man die Fotografien von Bernd und Hilla Becher auch völlig emotionslos als Annäherung an das Sujet der Industriearchitektur betrachten - insbesondere wenn man den jüngsten Bildband zur "Zeche Hannover" hinzuzieht. Bereits in "Bergwerke und Hütten" wanderte der Blick des Betrachters; mal wurden die industriellen Denkmäler in ihrer natürlichen Umwelt erfasst, so dass die ikonisch gewordenen Panoramen der Industrielandschaften entstehen konnten, mal wurden einzelne Objekte aus ihrem Gefüge gelöst und aus näherer Perspektive abgelichtet. Diese zweite Herangehensweise prägt den Bildband zur "Zeche Hannover". Das ermöglicht nicht nur, die einzelnen Industriebausteine aus der höchst komplexen Formation einer Zeche herauszulösen, sondern auch, der undurchschaubaren Struktur aus Kanälen, Bandstraßen, Fördertürmen, Schornsteinen sowie rauchenden Beton- und Ziegeltürmen Namen und Funktionen zu geben.
Ausgehend von überblicksartigen Aufnahmen einzelner Areale und Ausschnitte findet in "Zeche Hannover" eine Annäherung an die surreal wirkenden und ineinander übergehenden Bestandteile eines industriellen Komplexes statt, an dem Förder- und Fertigungsprozesse nahezu unauflöslich miteinander verbunden wurden. Aus verschiedenen Perspektiven und Abständen griffen Bernd und Hilla Becher die einzelnen Bestandsteile der Zeche heraus und lichteten sie ab - immer und immer wieder. Blättert man durch die Aufnahmen von Kesselwerken, Kühlaggregaten, Regeneratoren und Kondensationsanlagen, von Benzoltanks, Gaswascherröhren und Kokskohlentürmen, von Kaminsockeln, Doppelstrebengerüsten, Bandübergaben und Bandstraßen, fühlt man sich wie auf einer morphologisch-visuellen Zeitreise. Ob man dabei in die Vergangenheit oder die Zukunft reist, lässt sich so genau nicht bestimmen. Denn auf Bildern wirken die abgelichteten Koksofenbatterien und Rieselkühleranlagen wie gigantische Arbeitsspeicherelemente und der Eindruck, man wandelte auf einer überdimensionalen Computerplatine, ist nicht allzu fern. Zugleich bieten die beiden, in der Becher-Edition bei Schirmer/Mosel neu erschienen Bände grandiose Eindrücke aus einer längst vergessenen Zeit, als würde man sich noch einmal diesen Dinosauriern der Industrialisierung nähern und durch sie wandeln. Diese Ambivalenz zwischen Historismus und Futurismus hebt nicht zuletzt auch die Zeitlosigkeit dieser typologischen, geradlinigen und strengen Fotografie hervor, die für die Ästhetik der Becher-Schule so charakteristisch ist.
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