Euro-Islam statt Multi-Kulti
Mit seinem neuesten Buch richtet Bassam Tibi einen leidenschaftlichen Appell an alle, die Europas Werte lieben. Darunter versteht er "Basiswerte" wie Demokratie, Menschenrechte und Pluralismus, nicht etwa das Christentum. Tibis Vorwurf an die Europäer lautet, sie seien sich des Wertes ihrer eigenen Kultur nicht bewusst und daher bereit, sie zu Gunsten einer kulturrelativistischen Multi-Kulti-Haltung aufs Spiel zu setzen. Anstatt die kulturelle Verschiedenheit von Zuwanderern in den Rang von Grundrechten zu erheben, müssten die europäischen Staaten ihnen ein "Muster der Zugehörigkeit zur Identifikation" (S. 33) anbieten, wie dies beispielsweise in den USA der Fall ist. Die Europäer müssen nach Meinung des Autors zu ihren eigenen kulturellen Errungenschaften stehen und auch von den Einwanderern verlangen, dass sie diese akzeptieren und schätzen. Dabei redet er keiner Assimilation der Migranten das Wort, sondern hält kulturelle Vielfalt innerhalb Europas genauso für möglich und wünschenswert wie politischen Pluralismus - allerdings auf der Basis der europäischen Basiswerte. Mit dem "Multikulturalismus" hingegen geht er hart ins Gericht. Seine Vertreter seien bereit, Europa sogar zugunsten der Schari’a zu opfern; der damit verbundene "Kulturrelativismus" vertrete nämlich eine Haltung der "Wertebeliebigkeit" (S. 27). Demgegenüber grenzt er den von ihm vertretenen "Kulturpluralismus" ab: "Er geht davon aus, dass Vielfalt im Rahmen eines gesellschaftlichen Miteinanders der Kulturen nur mit einer verbindlichen Einigung auf kulturübergreifende, universell geltende Basiswerte möglich ist." (S. 30)
Der Islam ist in diesem Zusammenhang deshalb Thema des Buches, weil der islamische Fundamentalismus zu einer "Religionisierung" der Politik (S. 23) geführt habe, die das säkulare Europa zwar nicht wahrnehmen wolle, die aber von außen mitten nach Europa hinein getragen werde. Daher sei eine "Politik für den Umgang damit" erforderlich, Ignorieren helfe da nicht. Dadurch, dass in vielen islamischen Ländern islamisch-fundamentalistische Strömungen, wie die Muslim-Bruderschaft in Ägypten, zur wichtigsten und mit Abstand größten politischen Opposition geworden sind, findet in diesen Ländern eine Religionisierung der Politik statt, die im Rahmen der Migration auch auf Europa übergreift. Die Europäer würden diese Tatsache jedoch bisher verleugnen. Die Antwort auf diese Religionisierung und zugleich die einzig mögliche Brücke zwischen verschiedenen Zivilisationen sei die Säkularisierung, die Europa folglich nicht aufgeben dürfe.
Mit Islamisten könne man keinen Dialog führen. Selbstverständlich unterscheidet Tibi, selbst Muslim, peinlichst zwischen Islam und Islamismus. Doch nach Europa kommt eben nicht nur der Islam, sondern Muslime bilden aufgrund ihrer sozialen Marginalisierung in einigen europäischen Großstädten, z.B. in den Vororten von Paris oder in einigen Stadtteilen von Hamburg, islamische Enklaven, in denen der politische Islamismus blüht. Auch in einigen europäischen Moscheen werde nicht der Islam, sondern der Islamismus gepredigt. Auf die marginalisierten Jugendlichen üben islamisch-fundamentalistische Gedanken große Anziehungskraft aus. Tibi plädiert dafür, nicht länger die Augen zu verschließen, sondern daran zu arbeiten, dass in Europa anstelle eines importierten, teilweise ultra-konservativen Islam ein Euro-Islam entstehen könne, der mit den europäischen Basiswerten wie Pluralismus und Demokratie vereinbar sei und nicht die Einführung der Schari’a in Europa anstrebe. Dass dies möglich ist, erläutert der Autor anhand historischer Betrachtungen über die Zeit zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert, als die Rezeption des Hellenismus im arabischen Raum zu einem islamischen Rationalismus führte, der sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Die Fiqh-Orthodoxie bereitete dieser Strömung ein Ende (S. 112). Jedoch erweist der Blick in die Geschichte, dass die Gedanken der griechischen Philosophen, die erst später, im Rahmen der europäischen Renaissance nämlich, für Europa wirkungsmächtig wurden, mit dem Islam vereinbar sind. Wenn sich in Europa ein solcher islamischer Rationalismus durchsetzte, wäre damit ein Euro-Islam begründet, der keinen Widerspruch zu den europäischen Basiswerten darstellte und auf dessen Grundlage sich Muslime in europäischen Ländern integrieren könnten, ohne ihren Glauben, ihre kulturelle Verschiedenheit und ihre Identität aufzugeben.
Dieser Gedankengang ist wichtig, denn er eröffnet eine Perspektive der Gemeinsamkeit jenseits des vielerorts heraufbeschworenen Kampfes der Kulturen.
Leider ist der Autor, z.B. aufgrund von Fehlinterpretationen seiner Schriften, reichlich verbittert, worunter die Sachlichkeit dieses Buches etwas zu leiden hat.
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