Maurice Chevalier singt zum Untergang Paris
Obergefreiter Roth lebt in einem Hotel im besetzten Paris des Jahres 1943. Die Wände sind dünn wie Papier. Jeder kann von Jedem alles hören, nichts bleibt geheim. Und doch, wider besseres Wissen, beschließt Roth, für einen Tag eine Scharade zu spielen. Er tauscht seine Uniform gegen Zivilkleidung und mischt sich unerkannt unter die Pariser Bevölkerung. Er, der sich mehr als ein Pariser denn ein deutscher Besatzer fühlt, kann es nicht länger ertragen, sich Tag für Tag den misstrauischen, feindseligen, abweisenden Blicken der Pariser auszusetzen.
Es kommt, wie es kommen muss: bei seinem ersten Erkundungsgang verliebt er sich in ein junges Mädchen. Sein ganzes Streben richtet sich ab diesem Zeitpunkt darauf, dass Mädchen kennen zu lernen. Aus einer einmaligen Verkleidung wird eine Gewohnheit. Er schafft es, Chantal, so heißt das Mädchen, kennen zu lernen. Sie ist Mitglied der Resistance und er Besatzer. Bevor sich die Liebenden in die Arme sinken können, sind viele Hürden zu überwinden. Und als sie sich endlich vereinigen, stellt sich beim gemeinsamen Aufwachen schnell die bedrückende Frage: "Wie soll es jetzt mit uns weiter gehen?".
Dies fragt sich auch der Hörer. Denn bis zu diesem Zeitpunkt hat Obergefreiter Roth so ziemlich alles er- und überlebt, weswegen man im Dritten Reich als Soldat standrechtlich erschossen werden konnte: Unerlaubtes Entfernen von der Truppe, Fahnenflucht, Ablegen der Uniform, Fraternisierung, Kollaboration, Rassenschande, Verrat von Dienstgeheimnissen an die Resistance usw.
Man ist es ja gewohnt, dass die Hauptperson in einem Roman alles übersteht. Doch diese Häufung wird irgendwann peinlich und wirkt so, als ob der Autor die möglichen Alternativen sukzessive abgearbeitet hat.
Motivation und Metaphern
Er möchte dazu gehören. Doch seine Motivation ist unklar. Verabscheut er sein Vaterland, den Krieg, die Judenverfolgung und will sich deshalb von Deutschland distanzieren? Diese Frage stellt sich dem Hörer gar nicht. Obwohl die Geschichte im besetzen Paris spielt, wird auf herrschende politische Verhältnisse kaum eingegangen. Judenverhaftung, Denunziationen, Hinrichtungen, Resistance, Folterungen usw. werden nur ganz am Rande erwähnt. Selbst Folterungen werden nicht in Frage gestellt, sondern dienen nur der Herausarbeitung der Sensibilität des Protagonisten oder einer elliptischen Erzählschleife.
Der Einzelgänger Roth liest viel, denn er ist kein dummes deutsches Landser-Schwein, sondern ein echter Enkel Goethes und Montaignes. Dabei spielen Fabeln immer wieder eine Rolle im Plot. Unschwer erkennbar die Parallelen zwischen seiner Situation und die vom Fuchs "für den die Trauben zu hoch hängen" und die er trotz aller Bemühungen nicht erreicht. So geht es ihm letztendlich mit Chantal.
Doch als wäre es nicht genug, schafft es Wallner, dem voller Klischees steckenden Plot mit einem Finale á la Rosamunde Pilcher die Krone aufzusetzen. Dabei ist Wallners Roman im Großen und Ganzen homogen und flott lesbar. Allerdings hat man an manchen Stellen das Gefühl, dass dem Autor, beim dem Versuch, sein Buch in höhere Gefilde zu heben, unterwegs die Luft ausgegangen ist.
Rot und Schwarz
Spätestens seit der formidablen Lesung von Stendhals "Rot und Schwarz" gehört Heikko Deutschmann zu den ganz Großen der deutschen Sprecherriege. Konnte er beim vorgenannten Hörbuch noch alle Register seines Könnens ziehen, bleiben ihm hier wenig mehr Möglichkeiten als die Standardkniffe wie beispielsweise das Beschleunigen der Sprechweise bei Roths Flucht oder der zärtlich-intime Tonfall zwischen Roth und Chantal. Zu selten gibt dieses Hörbuch Deutschmann die Gelegenheit, sein ganzes Können auszuspielen. Allenfalls die bayrisch-poltrige Figur des Hirschbiegel und die homo-erotisch angehauchten Gespräche zwischen Roth und einem GeStaPo-Offizier sind erwähnenswert.
Fazit: Ein Stoff, der förmlich "Verfilmt mich" schreit. Beste Belletristik, herzerwärmende Versuche der Königskinder, zusammen zu kommen, unversöhnliche Ablehnung beider Seiten á la Romeo und Julia und ein zuckersüßes Ende werden Freunde des Genres vor Begeisterung von den Stühlen reißen.
„Ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Werk mit bedeutendem Inhalt“
Vor einhundert Jahren erschien Thomas Manns Der Zauberberg. Mit dem Nobelpreis wurde es nicht belohnt, zum Ärger seines Autors.
Der Zauberberg, die ganze GeschichteEcho eines Verschwindens
Eine berührende, zarte Geschichte über das plötzliche Verschwinden eines liebgewonnenen Menschen.
WendeschleifeRein in den Gatsch
Ein amüsanter Gesellschaftsroman mit spitzen Dialogen und kantigen Pointen. Lesegenuss vom Feinsten.
DamenschachDer Mann, der Robinson Crusoe wurde
Daniel Defoe verdiente sein Geld als besserer Leichenfledderer bis er die Geschichte eines Todgeweihten las, der sein Abenteuer überlebte: Alexander Selkirk gab das Vorbild für Defoes Romanhelden Robinson Crusoe ab.
Robinson CrusoeGeschichte der französischsprachigen Literatur
Eine französische Literaturgeschichte für Studenten und interessierte Laien.
Französische Literaturgeschichte