Die Rezeptionsgeschichte antiker Mythen
Die Wirkung antiker Mythen auf die abendländische Kultur- und Philosophiegeschichte wird in dieser von dem Literaturwissenschaftler Lutz Walther liebevoll zusammengetragenen Sammlung untersucht und nachgewiesen. Allerdings betont Walther auch, dass die jeweilige Bearbeitung eines Mythos nicht unbedingt selbstverständlich auf sein erstes Erscheinen Bezug nehmen kann, also auf die antike Form zurück, sondern lediglich auf die erste schriftliche Fixierung, da auch diese ja bereits eine Bearbeitung einer mündlich tradierten Erzählung ist. Der Autor und Herausgeber will in den Lexikonbeiträgen die Veränderungen in Interpretation und Darstellung der antiken Mythen von der Spätantike bis zur Gegenwart herausarbeiten und damit auch den Paradigmenwechsel veranschaulichen, der sich in jeder Epoche des genannten Zeitrahmens ereignete. Im Fokus stehe also die Wirkungsgeschichte in der abendländischen Kultur- und Philosophiegeschichte, wobei besonders die deutschsprachige betrachtet wird. Lutz Walther fügt nach jeder antiken Persönlichkeit auch eine Menge weiterführender Literatur zur weiteren Forschung an.
Der Zorn des Peliden Achilleus
Der "Groll" oder "Zorn" des Achilles bildet den Auftakt nicht nur eines berühmten Buches von Sloterdijk mit dem Titel "Zorn und Zeit", sondern auch zu dem hier vorliegenden Lexikon antiker Mythen und ihrer Rezeption. Achilles, der wegen seiner Maßlosigkeit, Unbedachtheit und Brutalität sowie wegen den tragischen Konsequenzen seines Verhaltens gescholten wird, hat sich nicht nur den Titel "the best" sondern auch "the beast of the Achaians" verdient, so KC King. Auch bei den Römern wird Achill keinesfalls als idealer Heroe geschildert, sondern vielmehr als maßlos Wütender. Im Mittelalter setzte sich eine Rezeption durch, die den Achill abwertete und die Trojaner aufwertete. Achilleus galt aber auch als Liebesheld, im Sinne der damals verbreiteten höfischen Minne. In der Spätrenaissance sei in Shakespeares Tragikomödie "Troilus und Cressida" wiederum einem gewalttätigen Achill ein wichtiger Thersites entgegengestellt worden. Bei Goethe ist er dann wieder der "Beste der Griechen, der würdige Liebling der Götter". Kleist sieht Achill seiner Leidenschaft zu Penthesilea erliegen, die Amazonenkönigin zerfleischt sogar den Leichnam von Achill.
Die Rache der Gorgonin Medusa
Auch berühmten Frauen der griechischen Mythologie widmet sich das vorliegende Lexikon, das die Veränderung der Rezeption der diversen Mythen bis ins 20. Jahrhundert nachverfolgt. In Ovids Metamorphosen wird von Medusa berichtet, das sei eine der drei Gorgonen, Töchter des Phorkys und der Keto, auch Gorgo genannt, und sie sei einst sogar sehr schön gewesen. Poseidon hatte Medusa im Athene-Tempel vergewaltigt, aber bestraft wurde nicht er, sondern Medusa, die von Athene in ein Monstrum mit schlangenstarrendem Haupt verwandelt wurde. In Miltons Werk "Paradise Lost" (1667) wird aus dem "Unhold der Hölle" wie bei Homer und Dante, eine Repräsentantin des poetischen Exzesses, von dem die Romantiker so begeistert waren. Milton malt den Schrecken, den sie verbreitet, genüsslich aus. Das "Gorgonische" an Medusa steht für das gewalttätige Element der Medusa und die Ambivalenz des Weiblichen an sich. Goethes Faust ruft wiederum aus: "Welch eine Wonne! Welch ein Leiden! / Ich kann von diesem Blick nicht scheiden!" und belegt damit auch die Faszination weiblicher Fürchterlichkeit für den Mann. Spätere Deutungen eröffnen auch die Perspektive einer schuldlos Verfluchten, die feministische Aneignungen des 20. Jahrhunderts vorwegnehmen. "Das Lachen der Medusa ist die befreiende, aber auch subversive Reaktion auf die Ängste der Männer", so erscheint es bei Hélène Cixous.

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