"Ich wurde erst schwarz, als ich nach Amerika kam."
Der erste Satz müsse einen packen, heisst es. Oder der erste Absatz. Oder auch die erste Seite. Bei "Americanah" reicht schon der erste Teil des ersten Satzes, weil er mich erinnert, an Mendoza, die Stadt in der argentinischen Wüste, von der eine Freundin in der Schweiz wissen wollte, wie sie rieche und ich mich so was bis dahin gar nie gefragte hatte … der erste Teil des ersten Satzes von "Americanah" geht so: "Princeton im Sommer roch nach gar nichts ...".
Ifemelu studiert in Princeton, wo sie sich jedoch keine Zöpfe flechten lassen kann, dafür muss sie nach Trenton, wo es mehr Schwarze gibt, die jedoch hauptsächlich Französisch, Wolof oder Malinke sprechen, Englisch hingegen "immer gebrochen und kurios, als hätten sie die Sprache nicht richtig gelernt, bevor sie sich den Slang und die Amerikanismen aneigneten." Einmal sagt eine Flechterin aus Guinea zu Ifemelu: "Igwa, o God, igwa sosaua". Erst nach vielen Wiederholung verstand sie, was die Frau sagte: "Ich war, o Gott, ich war so sauer."
Ich musste laut los lachen, war begeistert, und bereits mittendrin in dieser spannend erzählten, komplexen und hellsichtigen Geschichte von Ifemelu und Obinze, die einmal ein Paar gewesen und nun wieder miteinander in Kontakt treten.
Ifemelu hat sich gerade von ihrem schwarzen amerikanischen Freund getrennt, Obinze, der es in Lagos durch Beziehungen zu Geld und Ansehen gebracht hat, ist mit der schönen Kosi verheiratet, die es immer allen recht machen will: "Sie entschied sich immer für den Frieden und nicht für die Wahrheit."
Ifemelu ist anders, selbstbewusst, direkt, eigen. Eine erfrischende Stimme, die sich in Amerika als Bloggerin zu Rassenfragen, die sie höchst instruktiv angeht, einen Namen macht.
So recht eigentlich hätte ja Obinze eine Freundin von Ifemelu kennen lernen sollen, doch dann … grossartig wie das geschildert wird. Überhaupt ist vieles, was in "Americanah" geschildert wird grossartig. Und das meint, dass hier eine aussergewöhnlich talentierte Autorin am Werke ist, die es sich hervorragend aufs Geschichten-Erzählen versteht. Mir ist nicht wirklich klar, wie sie das schafft, mag es auch gar nicht analysieren, mir genügt mich mit Ifemelu in Nigeria und Amerika, und mit Obinze in England und Nigeria zu wähnen und am Schicksal der Protagonisten Anteil zu nehmen.
"Americanah" ist eine spannend erzählte Liebesgeschichte, ein Buch über kulturelle Vielfalt, den Gebrauch der Sprache, die Anpassungsschwierigkeiten an eine fremde Kultur und auch darüber, wie Amerika und England (wo Obinze ein Zeitlang als Illegaler lebt) aus afrikanischen Perspektiven (es gibt recht viele unterschiedliche) wahrgenommen wird. Und es schildert Interkulturelles für einmal erfrischend direkt und ohne den gängigen, liberalen Relativismus. "Ich komme aus einem Land, in dem Rasse kein Thema war. Ich habe mich selbst nicht als Schwarze gesehen, ich wurde erst schwarz, als ich nach Amerika kam."
Höchst überzeugend und witzig zeigt die Autorin auf, zu was für Absurditäten der Hang zu politischer Korrektheit führt, hält die amerikanische Sitte, der Bedienung zwischen fünfzehn bis fünfundzwanzig Prozent des Rechnungsbetrages als Trinkgeld zu geben für Bestechung und wundert sich, dass wenn man in Amerika gesagt kriegt, dass man abgenommen habe, dies als positiv gilt (in Nigeria ist es genau umgekehrt).
Chimamanda Ngozi Adichie zeigt höchst unterhaltend und differenziert, dass die Welt um einiges vielfältiger und unverständlicher ist, als ich bisher angenommen habe. So lerne ich etwa, dass in Kinshasa niemand Panikattacken hat (das haben nur Amerikaner), dass, wer im nigerianischen Onitsha aufgewachsen ist, mit "einem Dschungelakzent spricht. Er verwechselt 'tsch' und 'sch'. Ich will Tschokolade. Schüss." und wie Nigerianer klingen, wenn sie "sich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen haben, beide sprachen mit ihrer nigerianischen Stimme und ihrem nigerianischen Selbst, lauter, höher und mit einem 'o' am Ende der Sätze."
"Americanah" führt aber auch eindrücklich vor, dass und wie Menschen, bei allen kulturellen Unterschieden (auch innerhalb der eigenen Kultur), überall auf der Welt ähnlich ticken. Nun ist das zwar eine Binsenwahrheit, doch wie Chimamanda Ngozi Adichie ihr Ausdruck gibt, das ist gekonnt, anregend und sehr lustig.
Fazit: Ein grossartiges Buch!
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