In den Sümpfen der menschlichen Existenz
Esteban ist des Lebens, der Menschen und des Scheiterns müde. Die Schreinerwerkstatt, mit der er sich nie richtig identifiziert und doch vom Vater übernommen hat, ist wegen riskanter Spekulationen Konkurs gegangen, die langjährigen Angestellten der Schreinerei und die kolumbianische Pflegerin des senilen Vaters, einstiger und einziger Lichtblick im Haus, sind entlassen, und die Liebe, ja die Liebe war einmal. Alles, was früher einen gewissen Wert und Bedeutung hatte - Religion, Familie, ehrliche Arbeit - versinkt zeitlupenschnell im tiefen Morast.
In seinem neusten Roman «Am Ufer» (im Frühjahr 2013 in spanischer Sprache und ein Jahr darauf in der deutschen Übersetzung erschienen) zeichnet der spanische Erfolgsautor Rafael Chirbes ein ebenso detailliertes wie düsteres Bild der spanischen (und im weiteren Sinn auch globalisierten) Gesellschaft nach der großen Immobilien- und Finanzkrise. Er tut es derart überzeugend, dass man das Buch zwischendurch weglegen und tief Luft holen muss. Chirbes beeindruckt mit seiner unglaublichen Sprach- und Gedankenvirtuosität, mit Sätzen, bei denen mittendrin die erzählende Instanz und mir ihr die Perspektive auf das Geschehen wechselt; Sätze, die eine Sogwirkung ausüben, hinunterziehen in die Sümpfe der menschlichen Existenz.
An seinem letzten Lebenstag erläutert der 70jährige Esteban in einem inneren Monolog, wie es dazu gekommen ist, dass er im Sumpf («das Vorbeiziehen der Wolken, auf der Wasseroberfläche gespiegelt, schafft das Trugbild einer Welt, die in einer andauernder Reise vorbeizugleiten scheint und dennoch unbeweglich bleibt»), an dessen Ufer die fiktive Stadt Olba liegt und in den die Menschen geraten sind, nach dem geeigneten Schauplatz, der geeigneten Bühne zum Sterben sucht. Den Freitod sieht er, der nichts gewonnen und doch alles verloren hat - als einzige Möglichkeit, einen «Teil des Ehrenkodexes wiederherzustellen».
All jene, die Olba auf der Suche nach Ruhm und Erfolg einst verlassen haben, sind zurückgekehrt, treffen sich abends in der Bar. Obwohl man in Olba längst weiß, dass Esteban mit dem Bauunternehmer Pedro Geschäfte gemacht und seine gesamten Ersparnisse in dessen Häuser, die nie zu Ende gebaut worden sind, investiert und verloren hat, tut Esteban niemandem den Gefallen, das Thema anzusprechen. Auch gegenüber Francisco, seinem einstigen Jugendfreund, lässt Esteban kein Wort verlauten. Es geht um die letzte Würde - das letzte Stück Verlogenheit. Dass Pedro und seine Frau mit dem Geld fremder Leute längst über alle Berge sind, versteht sich von selbst.
Während Estebans Vater unter Franco im Gefängnis saß (das Todesurteil war in eine Haftstrafe umgewandelt worden), gehörte Franciscos Familie zu den Franco-Befürwortern. Wie schon die Väter, hätte auch das ehemalige Freundespaar nicht unterschiedlicher sein können. Esteban, der vom politischen Willen des Vaters einzig die Einsicht geerbt hat, dass vom Menschen nur das Schlimmste zu erwarten ist («der Mensch ist ein zusammengeflickter Sack voll Dreck»), ist wenig ehrgeizig und wählt den Weg in die Schreinerei als jenen des geringsten Widerstands. Francisco hingegen macht sich die politischen Umwälzungen und Beziehungen nach der Diktatur zu Nutzen, mausert sich zum Restaurantbesitzer und gefeierten wie gefürchteten Weinkritiker und heiratet Estebans einzige Liebe Leonore, was ihm - obwohl Francisco von der Affäre zwischen Esteban und Leonore nichts weiß - Esteban nicht verzeihen kann. Dabei war es Leonore gewesen, die sich der sozialen Aufstiegschancen zuliebe für Francisco und gegen Esteban und das gemeinsame, in ihrem Bauch heranwachsende Kind entschieden hat.
Wer meint, es bleibe am Ende ein Fünkchen Hoffnung («so ist das manchmal, du fühlst das Glück, wenn du denkst, dass es kommt, du fühlst es voraus, und dann stellt sich heraus, es ist an dir vorbeigegangen, dir enteilt, ist nicht mehr da»), der täuscht, denn da ist nichts, was die Menschen zusammenhält, übrig bleibt nur der Sumpf, in dem sie letztlich elend verenden.
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