Magnus Striet: Alte Formeln – lebendiger Glaube

Bekenntnisse eines Theologen

Der Freiburger Gelehrte Magnus Striet, Professor für Fundamentaltheologie, gehört zu den Ausnahmeerscheinungen im Bereich der katholischen Theologie, denn er ist nicht nur kirchlichen Insidern, sondern auch einer philosophisch interessierten Leserschaft in Deutschland bekannt. Sein neues Buch bewegt sich erneut im Grenzgebiet von Theologie und Philosophie, und ist ausdrücklich adressiert an „theologisch Interessierte“. Doch welche Art von Thesen stellt der streitbare wie umstrittene Denker auf?

Magnus Striet publiziert seit einigen Jahren über Kant und die Philosophie und hat zu dessen Denken eine existenzialistisch-relativistisch konturierte Interpretation vorgelegt. Der Theologe sieht Kant als Vordenker der heutigen Autonomie des Menschen und eines Freiheitsverständnisses, das nicht länger von Autoritäten, auch nicht von der römisch-katholischen Kirche bestimmt sein darf. Mit solchen Thesen erregte Striet Aufsehen, und es zeigt sich die schier grenzenlose Liberalität der altehrwürdigen Institution Kirche, dass er Gedanken wie diese mit kirchlicher Lehrbefugnis vorlegen darf. Die Freiheit eines katholischen Christenmenschen – so denken auch religionswissenschaftlich interessierte Zeitgenossen – reicht offenbar doch sehr viel weiter, als sich etablierte Kirchenkritiker vorstellen können. Striets Thesen zu Kant haben Widerspruch hervorgerufen, insbesondere bei dem Theologen, Philosophen und ausgewiesenen Kant-Experten Engelbert Recktenwald, der in einem instruktiven, hörenswerten Vortrag dezidiert Kritik äußerte. Auch in seinem neuen Buch beruft sich Magnus Striet immer wieder auf Kant und auf Philosophen, wenn er über das Glaubensbekenntnis spricht und dessen Bedeutung für unsere Zeit neu erschließen möchte. Zwar setzt der Freiburger Theologe nicht explizit ein Vorwissen über die Geistes- und Philosophiegeschichte voraus, doch er jongliert mit den Namen, Theorien und Werken von abendländischen Denkern, die ein einfacher „theologisch interessierter“ Leser heute nicht unmittelbar versteht, verstehen kann und auch nicht verstehen muss. Hat beispielsweise Augustinus die Erbsünden-Lehre wirklich erfunden? Oder bezog sich der Kirchenvater vielleicht nur auf die „Vulgata“, die lateinische Bibelübersetzung? Dass Glaubensbekenntnisse nicht vom Himmel fallen, sei Magnus Striet zugestanden, aber auch ein historisch-kultureller Kontext kann schwerlich als einzig mögliche oder gar wahre Erklärung taugen. Es mag ein weltfrommer Wunsch sein, dass ein Glaubensbekenntnis heute eine „lebensermutigende Lebendigkeit“ ausstrahlt, wenn es vom „historischen dogmatischen Ballast befreit“ – und im Innersten wird doch verkannt oder unterschätzt, dass Menschen, die von der Sehnsucht nach Gott erfüllt sind, nicht ein Credo der unbestimmten Beliebigkeit sich wünschen, sondern ernste, lebensentscheidende und -wichtige Fragen stellen und nach Antworten suchen, die fundiert sind, also nicht eine neue Philosophie bringen, sondern von der Wahrheit künden, die das Leben trägt und hält. Magnus Striet meint es ernst mit seiner Hoffnung und seinem modernen Glaubensverständnis – und er schreibt, dass es das Christentum auch im Anfang nur im Plural gegeben habe. Die katholische Kirche versteht er als „regulative Idee“. Damit wählt er einen Begriff aus der kantischen Philosophie, den er für seine Art von Theologie sich aneignet. Striet formuliert pointiert: „Wer von dem Christentum spricht, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht sein Christentum anderen als das wahre Christentum aufdrücken will.“ Zweifellos ist das ein interessanter Gedanke, aber welcher einfach gläubige Christ kümmert sich ernsthaft um solche Überlegungen, wenn er das Glaubensbekenntnis spricht – und das vielleicht aus gutem Grund? Und welcher Gottsucher von heute wird von diesen Überlegungen zuinnerst angesprochen und bewegt? Eine Kirche ist ein Kosmos in sich, eine Religionsgemeinschaft – die zugleich auch immer als eine Diskursgemeinschaft verstanden werden kann – ist dies auch. Aber wer behauptet ernsthaft, dass es ein monolithisches und uniformes Christentum gab oder gibt?

Dezidiert behauptet der Autor, dass Jesus „keine Kirche gestiftet“ habe. Auch ein agnostischer Leser fragt sich vielleicht, warum es dann seit knapp zweitausend Jahren Glaubensgemeinschaften gibt, die sich christlich nennen – und warum Jesus von Nazareth zwölf seiner Jünger zu Aposteln bestellt und in die Welt gesandt hat, damit sie die Botschaft vom Reich Gottes verkünden sollten. Mitnichten wollte Jesus Christus, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied sein sollte. Oder etwa doch? Magnus Striet wünscht sich eine neue und andere Kirche – dieser Wunsch sei ihm zugestanden. Er möchte ein „Credo für heute“ formulieren und hofft auf den „Mut“, dass ein solches Glaubensbekenntnis entstehen könnte. Doch sind solche Gedankenspiele wirklich nützlich? Magnus Striet schreibt: „Ob es eine Auferstehung geben wird, weiß niemand zu sagen. Es gibt und kann in dieser Frage keine Gewissheit geben.“ Warum aber bekennen sich gläubige Christen aller Konfessionen heute zur Auferstehung der Toten und zum ewigen Leben? Magnus Striet schreibt auch: „Wer das Credo spricht, drückt seine inneren Überzeugungen in ihm aus.“ Das stimmt. Und es gibt noch immer gläubige Menschen, die sich zum Credo der Kirche bekennen und auch kein anderes, neu ausgedachtes oder postmodernes Glaubensbekenntnis sprechen möchten.

Magnus Striet hat erneut ein höchst provokatives Buch vorgelegt, das Zustimmung finden wird, aber auch begründeten Widerspruch. Auch sein neues Buch wird Kontroversen auslösen. Eine Frage könnten sich manche Leser auch stellen: Warum lehrt ein Theologe, der leidenschaftlich für Autonomie streitet und eine ganz andere Kirche möchte als die römisch-katholische Kirche von heute, freiwillig im Auftrag dieser Kirche? 1971 schrieb Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., einen lesenswerten Aufsatz mit dem Titel „Warum ich noch in der Kirche bin“ – einen solchen Beitrag wünschte sich mancher theologisch interessierte Zeitgenosse vielleicht heute aus der Feder von Magnus Striet.

Alte Formeln – lebendiger Glaube
Alte Formeln – lebendiger Glaube
Das Glaubensbekenntnis ausgelegt für die Gegenwart
176 Seiten, gebunden
Herder 2024
EAN 978-3451398599

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