Fernsehen: Das teure Narkosemittel für alle
"Ohne Vorwort von Marcel Reich-Ranicki" liest man auf dem Buchumschlag und ist sofort eingenommen für diese Anleitung zum TV-Mündig-Werden, doch dann, nach den ersten Kapiteln, beginnt man sich zu fragen, wie der Autor sich bloss all diese seichten Inszenierungen von Wirklichkeit hat anschauen können ... Andererseits: hätte er das nicht getan, hätte er auch dieses gescheite Buch nicht schreiben können und wir, die Leser, könnten jetzt diesen ganz wunderbaren Einstieg nicht lesen:
"Ich mag das Fernsehen. Ich mag es, nach Hause zu kommen, den Mantel abzulegen, die Schuhe auszuziehen und zu wissen: Was auch immer du gerade erlebt haben magst, welche Überraschung der Tag gebracht haben mag, nun wartet auf dich das Erwartbare (...) Wenig sonst ist im Leben gewiss. Ob wir morgen unsere Arbeit, unsere Liebe, unser Leben noch haben? Niemand kann es wissen. Das Fernsehen aber ist die pure Zuverlässigkeit, ein Reich, in dem es keine Zufälle gibt. Jedes Format beginnt in der vorgeschriebenen, in der vorher aufgeschriebenen Weise. Selbst die Überraschungsmomente sind einem Skript entsprungen (...) Mag die Welt wanken, im Fernsehen regieren die Ordnung und die Übersichtlichkeit und die Zufallslosigkeit."
Der Fundamentalsatz des Fernsehens, so der Autor, laute: "Schau und glaube!", doch genau das tut er nicht, denn ein bejahendes Verhältnis zum Fernsehen haben könne er eigentlich nur, wenn er es nicht ernst nehme. Da ihn dies jedoch vermutlich davon abhalten würde, ein Buch über eben dieses Fernsehen zu schreiben, macht er es für einmal umgekehrt: "Ich will für einmal das Fernsehen ernst nehmen. Ich will mich den Menschen, den Tieren und den Sensationen hingeben, mit denen das Fernsehen uns lockt. Und dabei standhalten. Den Blick der Medusa, der die Welt verhexen will, bezwingt man nur, wenn man ihm standhält." Oder indem man gar nicht erst hinguckt. Oder indem man, wie der Autor das offenbar gelegentlich auch tut, nicht ernst nimmt, was einem da vorgeführt wird. Doch zugegeben, das wäre ein anderes Thema. Und ein Buch liesse sich darüber auch nicht schreiben.
Der Autor guckt also hin und erzählt dem Leser von Sendungen wie "Schamlos glücklich - Die Zeigefreudigen" oder "We are Familiy! So lebt Deutschland" oder, na ja, von Sendungen halt, die sich Leser von Büchern wie "Dummgeglotzt" wohl kaum antun, ausser zum Abschalten, doch dafür eignet sich ja auch die Tagesschau. Nicht jeder wird die Energie aufbringen, sich mit detaillierten Nacherzählungen von Volksmusiksendungen oder Anne Will zu beschäftigen, doch wer das tut, der wird mit intelligenten, witzigen und scharfsinnigen Kommentaren belohnt. Zur Sendung "Zwei bei Kallwass" etwa liest man: "Die künstliche Authentizität, die vorgetäuschte Intimität, die einstudierte Emotionalität einer von der ersten bis zur letzten Sekunde inszenierten Show addieren sich zu einem Loblied auf die befreiende Kunst des Redens. Wer redet, sagt uns "Angelika Kallwass", lebt besser. Wer öffentlich redet, trägt zum besseren Leben der Zuschauer bei."
Sehr schön auch dies hier: "Michel Friedmann sitzt ebenfalls dabei, beschränkt sich jedoch weitgehend auf seine Paradedisziplin, das hypermoralische Monologisieren mit stossweise nach vorn gerecktem Zeigefinger." Oder dies: "Als TV-Profis sind die Gäste, wie Kerner selbst, Promotoren ihrer selbst oder ihrer Produkte. 'Du hast ein Buch geschrieben', lautet eine typische Einleitung hin zum folgenden Dauerwerbeblock."
Den TV-Unterhaltungswahnsinn auf den Punkt brachte Elke Heidenreich, die zur Premiere ihrer Sendung "Lesen" im Internet meinte: "Vor mir kein Gejodel, nach mir keine Kochshow, weit und breit kein Kerner."
"Irgendwann auf dem Weg zur Rückgewinnung der Würde" - und darum ist es dem Autor zu tun - "wird der mündig gewordene Bürger innehalten und sich fragen: Warum eigentlich sind sieben Milliarden Euro für ein System reserviert, das im Zweifel eher müde als mündig macht?" Weil der Mensch nun einmal nicht mündig werden mag, ist man versucht dem Autor zuzurufen. Andererseits: wäre ja schon nicht schlecht, wenn man sich da täuschen würde.
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