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Alexander Broicher: Unter Frauen

Furiose, freche und kurzatmige Sommerkost

Der französische Regisseur Jean Luc Godard (À bout de souffle - dt.: "Außer Atem") wurde einmal gefragt, wie man einen guten Film dreht. Die legendäre Antwort des Meisters der Nouvelle Vague lautete: "Es ist eigentlich ganz einfach: Man nehme einen jungen Mann, eine schöne Frau und lasse sie vor die Kamera treten - der Rest entwickelt sich von selbst..." Was muß dann erst passieren, wenn gleich drei Frauen und ein Mann - allesamt jung - in einer Wohnung zusammen leben? Die Antwort des Kultautors Alexander Broicher, dessen letzter Roman "Fakebook" 2012 erschien, hat sich dieser Frage angenommen und eine ebenso verblüffende wie einfache Erklärung geliefert: "Drei Frauen und ein Mann in einer WG hört sich traumhaft an - ist aber eher ein Alptraum!" (Broicher auf SWR3) Auf 176 Seiten beschreibt der rastlose Autor, der beruflich zwischen den USA und Berlin pendelt, einen ebenso schnellen wie unterhaltsamen Parcours zwischen Wohnungsnot und Beziehungsangst, Karrieredruck und Geschlechterkampf.

"Drei Frauen und ein Mann in einer WG...traumhaft? Ein Alptraum!"

Protagonist des Ritts auf der Rasierklinge ist der junge Till, Ende Zwanzig, gestern noch mitten in einer Beziehung und im Berufsleben, ist er über Nacht auf einmal alles los: Freundin weg, Arbeit weg und vor allem ohne Wohnung. Die letzten Sieben Sachen, die in Kartons vor der Türe stehen, zusammengerafft, macht er sich in dieser Situation auf die Suche nach einem neuen Domizil. Kein leichtes Unterfangen in einer Großstadt wie Hamburg, wo wenig Wohnraum rar und teuer ist und nur ein fester Job die Türen öffnet. Nach langer und erfolgloser Suche gelingt ihm trotz misslungenem Auftritt die Aufnahme in einer WG, die in noblem Ambiente von drei Frauen bewohnt wird: Edles Parkett, feiner Stuck, hohe Decken, großzügige Räume und teures Interieur. Der einzige Haken: Die Damen möchten nur ihresgleichen, sprich eine Frau für ihr 4. WG-Zimmer aufnehmen.

Doch Till braucht dieses Zimmer, denn anderntags beginnt er seinen neuen Job. Draußen regnet es in Strömen, er ist müde und weiß nicht, wohin. Der Verzweiflung nahe, bedient er sich einer List: Till gibt den Dreien vor, schwul zu sein. Die drei Elbprinzessinnen Isabel , Tessa und Marion zögern, entscheiden sich aber nach zähem Abwägen für Till. Dieser bejubelt den erfolgreichen Abschluss seiner Suche...doch schon nach kurzer Zeit zeigt sich, dass Lügen kurze Beine haben: Till verwickelt sich in einem immer dichteren Gestrüpp aus Mogeleien, Sehnsüchten und Erwartungshaltungen, die er bald nicht mehr aufrecht erhalten kann. Sein neuer Job im Labor eines Beauty-Konzerns sorgt für zusätzliches Leid: Der Chef hat ihn auf dem Kieker, die Arbeit führt Till in eine Grauzone aus kruden Inhaltsstoffen, zweifelhaften Tests...und bald keimt auch noch der Verdacht auf Tierversuche - dabei hatte er dem WG-Trio vorab großspurig mehrere Probeprodukte versprochen.

Lügen haben kurze Beine

Riskiert er Job und Wohnung für sein Gewissen oder kann er die Mogelpackung weiter aufrecht erhalten? In jedem Falle ein Pyrrhussieg. Auch bei seinem Freund Pit, Enthüllungsjournalist und Seglertyp, erfolgreich und gut aussehend, findet Till keinen rechten Trost. Und ignoriert dessen Rat, die Farce allmählich zu beenden. So oder so folgt das Godard’sche Gesetz: Natürlich verdreht eine der drei WG-Genossinnen, Tessa, Till langsam den Kopf. Mit der eher wankelmütigen Isabel und seiner persönlichen Lieblingsfeindin Marion ließe sich die Distanz noch fortführen...aber mit Tessa...als Schwuler? Das Borderline-Syndrom gewinnt an Fahrt und so schnell er alles bekam, so schnell droht Till wieder alles zu verlieren. Oder erfährt Till nach der Godard-Konstante auch die lex amicis, ja, zeigt sich Freundschaft etwa dann, wenn man sie am Wenigsten erwartet?

Bittersüße Sommerkost

Nun, Broichers kurvenreicher Roman endet genau so rasant, wie er begann. Vielleicht wäre ein tieferer Ausflug in die finsteren Machenschaften eines Kosmetikproduzenten wünschenswert gewesen...doch wer weiß, ob der arbeitsame Autor diesen Faden nicht in einem kommenden Buch weiter spinnt? In jedem Falle ist "Unter Frauen" eine furiose, freche und kurzatmige Sommerkost, die bittersüß am Gaumen kitzelt!


von Daniel Khafif - 21. Juni 2013
Unter Frauen
Alexander Broicher
Unter Frauen

Atrium 2013
176 Seiten, broschiert
EAN 978-3855350537