Eine Geschichte, so wahr und absurd wie der Krieg
Die Story von "African Queen" ist eigentlich allseits bekannt. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs lebt der Brite Charlie Allnutt (Humphrey Bogart) als heruntergekommener Flussschiffer im von Deutschen besetzten Ostafrika. Er begegnet der strengen Methodistin Rose Sayer (Katherine Hepburn), die ihn dazu überredet, mit Allnutts altersschwachen Kahn das deutsche Kriegsschiff "Luisa" auf dem Tanganjikasee anzugreifen.
Die beiden bestehen zahlreiche Abenteuer, versenken, schon unter dem Galgen stehend, ihren Gegner und kriegen sich - natürlich - am Ende. Bogart wurde 1951 sogar mit dem Oscar für die beste Hauptrolle ausgezeichnet. Mindestens so interessant wie die Story ist die Entstehungsgeschichte des Filmes. Die Crew drehte unter absurden Bedingungen im afrikanischen Busch, die Darsteller waren sich alles andere als grün und Regisseur John Huston verschwand während der Dreharbeiten wochenlang zur Jagd. Katherine Hepburns Erinnerungen "African Queen oder wie ich mit Bogart, Bacall und Huston nach Afrika fuhr und beinahe den Verstand verlor" legen beredtes Zeugnis für die ungewöhnliche Produktion ab.
So weit, so gut - ein hübsches Stückchen Hollywood-Historie möchte man meinen. Wenn da nicht die Entdeckung von Giles Foden wäre. Der britische Journalist und Afrika-Reisende spürte die Geschichte hinter der Filmstory auf. 1914 besitzt der Kriegsschauplatz Afrika für die britische Admiralität im Ganzen nur geringe Bedeutung. Die Gegend um den Tanganjikasee im Grenzgebiet von Deutsch-Ostafrika (Tansania) und dem britischen Einflussgebiet Nord-Rhodesien (Sambia) hingegen hat strategische Bedeutung. Wer den riesigen See beherrscht, kontrolliert den Zugang nach Zentralafrika. Und den See kontrolliert die kaiserliche Marine. Ihre bewaffneten Dampfer "Graf von Götzen" und "Hedwig von Wissmann" stellen eine ernsthafte Bedrohung für die britischen wie belgischen Interessen dar.
Ein wahnsinniges Unterfangen
In London wird daraufhin ein geradezu wahnwitziger Plan geboren: Zwei mittelgroße Motorboote und gerade 28 Mann sollen den deutschen Einfluss brechen. Truppen, Boote, Waffen und Ausrüstung wurden von London über Kapstadt mehr als 2.000 Meilen weit ins Herz Afrikas geschleppt. Neben Bahn und Flusstransport waren auch mehr als 100 Meilen Landweg zurückzulegen. Tausend afrikanischer Arbeiter wurden gebraucht, um im wahrsten Sinne des Wortes eine Schneise durch den Dschungel zu brechen, Wege anzulegen und ein Hochgebirge zu überwinden. Die Schinderei muss unvorstellbar gewesen sein, brütende Hitze fernab jeder Zivilisation, Moskitos, wilde Tiere, Malaria...
Angeführt wurde das Unternehmen von Geoffrey Basil Spicer-Simson, einem ebenso exzentrischen wie erfolglosen Marineoffizier, dessen Selbsteinschätzung und militärischen Leistungen einander diametral gegenüberstanden. Foden nimmt an, dass seine Vorgesetzten den unbeliebten Aufschneider schlicht loswerden wollten, als sie ihm den hoffnungslosen Auftrag übertrugen. Doch Spicer-Simson, zuvor im Personalamt der Marine-Reserve tätig, nimmt begeistert an. Seine Mannschaft war ein bunt zusammen gewürfelter Haufen Reservisten, zum Teil ohne jede Afrika-Erfahrung oder wenigstens grundlegende Kenntnisse der Seekriegsführung - kurz gesagt: ein Himmelfahrtskommando.
Doch das Unmögliche gelingt. "Mimi" und "Tatou", die beiden Boote, gelangen im Spätsommer 1915 nicht nur funktionsfähig an den See, den schnellen, wendigen und gut bewaffneten Kampfeinheiten gelingt sogar ein besonderer Coup: Mit der "Kingani", einem kleineren deutschen Transporter konnte im ersten Einsatz ein strategisch wichtiges Schiff erobert werden. Wie der Autor anführt, handelte es sich sogar um das erste deutsche Beuteschiff, das den Briten im Ersten Weltkrieg unbeschädigt in die Hände fiel.
Die britische Siegesserie hält an. Im Herbst 1915 wird die "Hedwig" versenkt, im Februar 1916 folgt nach einem koordinierten britisch-belgischen Angriff, bei dem sogar Wasserflugzeuge zum Einsatz kommen, die "Götzen". Fast 90 Meter lang und schwer bewaffnet, galt das Schiff eigentlich als unbesiegbar. Nach fast zwei Jahren Einsatz verfügen die Briten über die unbeschränkte Kontrolle auf dem See und die erschöpften Männer können in ihre Heimat zurückkehren.
Geschichte hautnah
Giles Foden hat ein hervorragendes Sachbuch vorgelegt. Spannend wie ein Thriller geschrieben, gelingt es ihm, eine verschüttete Episode des Ersten Weltkriegs detailliert nachzuzeichnen. Gleichzeitig sprüht die Geschichte vor Leben und Witz. Wenn sich etwa Korvettenkapitän Spicer-Simpson selber zum Vizeadmiral der britischen Flotte ernennt, in Ermangelung der passenden Schulterstücke seine Uniform jedoch mit einem doppelten Majors-Kennzeichen versehen lässt, bleibt beim Leser mehr als nur ein leises Schmunzeln.
Im Übrigen muss Spicer-Simpson nachhaltigen Eindruck auf die Seebewohner gemacht haben. Noch heute existieren in Stein gehauene Götzen-Standbilder des Exzentrikers. Seine deutschen Widersacher konnten bis zum Kriegsende nicht begreifen, warum der Mann seine Angriffe im Frauenrock führte. Die belgischen Verbündeten waren entsetzt über den offensichtlich wenig kompetenten Befehlshaber, ihre Offiziere standen mehr als einmal kurz davor, dem eitlen Briten die Gefolgschaft zu verweigern.
Der Dampfer "Götzen" wurde nach dem Krieg gehoben und ist unter seinem neuen Namen "Liemba" noch heute im Dienst, wie Foden aus eigener Erfahrung zu berichten weiß. Als einzig regelmäßig verkehrendes Fährschiff auf dem Tanganjikasee stellt er für zahlreiche Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ruanda und Burundi oft die einzige Hoffnung auf Flucht in sichere Staaten dar.
Giles Fodens exzellente Darstellung zu einem längst vergessen geglaubten Mosaiksteinchen des Ersten Weltkriegs ist überaus lesenswert und möge allen Betrachtern bei der nächsten Wiederholung von "African Queen" im Gedächtnis bleiben. Das Buch hat es verdient.
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