"Der Weg nach Memphis und Theben führt über Turin."
Dieser berühmte Satz datiert ins Jahr 1824 und stammt von dem Sprachgenie Jean-François Champollion. 2012 führt der Weg nach Memphis und Theben nun auch über Speyer. Das Historische Museum der Pfalz bietet bis zum 2. September in seiner Ausstellung "Ägyptens Schätze entdecken. Meisterwerke aus dem Ägyptischen Museum Turin" die erstmalige Gelegenheit, 350 ausgewählte Objekte aus Turin hierzulande bewundern zu können. In enger Zusammenarbeit mit dem Turiner Museum, der Johannes Gutenberg Universität Mainz, der FU Berlin und der Universität Sohag in Ägypten ist ein beeindruckender Rundgang durch die Geschichte der Ägyptologie entstanden.
Sammelleidenschaft und Profitsucht vs. Wissenschaft
Draufgänger, profitgierige Sammler und sogar ein Kaiser in spe standen am Anfang dieser wechselvollen Geschichte. Es ist in der Tat Napoleons ägyptischer Expedition (1798-1801) zu verdanken, dass ein mehrbändiges Werk, die berühmte Description de l'Égypte in Europa eine regelrechte Ägyptomanie auslöste. 167 Wissenschaftler und Künstler begleiteten die Armee und sorgten für einen Fund, der mehr als 20 Jahre später die Geburtstunde der Ägyptologie einläuten sollte: der Stein von Rosette. Auf der Stele der ptolemäischen Zeit ist ein Priesterdekret in drei Schriften, Altgriechisch, Demotisch und in Hieroglyphen, abgefasst. Champollion ist es mit Hilfe dieses Steines letztendlich gelungen, die Hieroglyphen zu entziffern und er gilt damit als Vater der Ägyptologie. Dass die Geburtstunde nicht unbedingt auch eine Sternstunde der Ägyptologie war, bezeugt auch die Geschichte der Sammlung in Turin. Bernardino Drovetti, Prokonsul Napoleons und skrupelloser Sammler ägyptischer Altertümer, legte den Grundstein für die Turiner Sammlung. Seine Fundstücke verkaufte er an den Meistbietenden. Von einem kulturhistorischen Interesse kann da keine Rede sein. Einer der ersten, wissenschaftlich ernst zu nehmenden Ägyptologen war Ernesto Schiaparelli (1856-1928; Schüler Gaston Masperos). Als Direktor des Ägyptischen Museums Turin unternahm er zahlreiche Grabungen u.a. in Gebelein, Deir el-Medineh, Theben und Assiut. Die Fundstücke seiner Grabungen bilden den Großteil der Leihgaben, die in Speyer zu sehen sind.
Das Leben am Nil
Die Ausstellung gewährt tiefe Einblicke in die Kultur- und Geisteswelt des alten Ägypten. Besonders die jährlichen Überschwemmungen der Ufer des Nils haben sich beispiellos in der ägyptischen Kultur niedergeschlagen. Das wiederkehrende Phänomen war für die Menschen am Nil symbolisch für eine kosmische Ordnung, außerhalb derer das viel gefürchtete Chaos herrschte. Im Pflichtbewusstsein der Ägypter fest verankert, galt die Vorstellung, diese Ordnung stets aufrechterhalten zu müssen. Zur Gewährleistung dieses Zustandes trugen Pharaonen genauso bei wie die Untertanen. An der hervorragend erhaltenen Sitzfigur des Thutmosis I. findet man unter dessen Füßen 9 stilisierte Bögen eingraviert. Sie symbolisieren die 9 traditionellen Feinde Ägyptens. Ein paar Räume weiter findet sich ein Sohlenpaar einer Mumie mit der Darstellung gefesselter Feinde auf der Unterseite. Hier offenbart sich die Idee der Unterwerfung einer reell empfundenen Gefahr noch bildlicher. Der Mensch war also auch noch im Tod verpflichtet, seinen Beitrag zur kosmischen Ordnung zu leisten.
Die aufwändigen Totenriten, die synonym für die ägyptische Kultur stehen, zeugen keinesfalls von einer morbiden Geisteshaltung sondern charakterisieren die Lebensbejahende Mentalität der Menschen. Bis ins wortwörtlich kleinste Detail wurde das diesseitige Leben in den Gräbern in Form von Miniaturen, Texten und Bildern dargestellt. Somit sicherte man sich ein angenehmes Leben auch nach dem Tod. Damit es angenehm blieb wurden sogenannte Uschebtis, Diener für das Jenseits, mit ins Grab gegeben. Nach Möglichkeit waren es 365 an der Zahl, für jeden Kalendertag einen Diener, der an Stelle des Verstorbenen die anfallenden Arbeiten im Jenseits verrichtete.
So fremd und faszinierend uns diese Jenseitsvorstellungen erscheinen, so vertraut und modern muten uns dagegen die steinernen Familiendarstellungen an. Die Ehepartner halten sich liebevoll in den Armen. Sie sind gleichgroß wiedergegeben was einen gleichberechtigten Status kennzeichnet. In der Tat waren die Frauen im alten Ägypten juristisch erstaunlich autonom. Aus der altägyptischen Weisheitsliteratur und Liebesdichtung geht zusätzlich hervor, dass die Liebesheirat nicht allein ein neuzeitliches Phänomen darstellt. Die Anfertigung solch wertvollen Familienporträts war nur hohen Beamten und dem Königshaus nahe stehenden Personen vorbehalten.
Butehamun war ein solcher hoher Beamter. Sein Grab in Deir el-Medineh, der Handwerkersiedlung in Theben-West, hat sich als ein wahrer Glücksfall für die Ägyptologie erwiesen. Deir el-Medineh und das Tal der Könige liefern eine Fülle an Informationen über ihn. So ist bekannt, dass Butehamun für die Umbettung einer Vielzahl, von Grabräubern bedrohten Königsgräber verantwortlich war und folgende Ämter bekleidete: königlicher Schreiber der thebanischen Nekropole, Aufseher der thebanischen Templerarbeiten, Vorsteher des Schatzhauses des Palastes und Öffner der Tore der Königsgräber. Die Mumie des Ramses III. ließ Butehamun neu wickeln und gemeinsam mit weiteren namhaften Mumien in ein verstecktes Grab legen. Seine eigene Grabausstattung zeugt von der hohen sozialen Stellung eines Schreibers. Drei hölzerne Sarkophage ließ Butehamun für seine sterblichen Überreste anfertigen und das in einer Gegend, wo Holz Mangelware und damit ein Luxusgut darstellte. Auf dem Innendeckel seines Sarges fasste er eine traditionelle Abschrift eines so genannten Mundöffnungsrituals ab. Solche Texte zum Totenritus haben sich aus den Pyramidentexten des Alten Reiches entwickelt. Exemplarisch für ein Totenbuch ist in Speyer ein anonymer Papyrus mit Texten für das Jenseits ausgestellt. Deutlich ist eine Leerstelle im Text zu erkennen, die für den nachträglich einzufügenden Namen des Verstorbenen frei gelassen wurde. Für weitere Erläuterungen zum von rechst nach links zu lesenden Totenbuch steht den Besuchern eine Medienstation zur Verfügung
Die Speyrer Expedition
Das Konzept der Ausstellung hält die Besucher dazu an, wie ein Archäologe an der Oberfläche zu kratzen, um einer tieferen Bedeutung der Objekte auf die Spur zu kommen. Denn es tauchen immer wieder überraschende Wechselbeziehungen zwischen den Exponaten auf. Betrachtet man beispielsweise die Sitzfigur des Thutmosis I. genauer, so entdeckt man an einer der Thronseiten neben den antiken Ornamenten auch eine neuzeitliche Gravur: D. par J. Rifaud sculpteur a thèbes 1818. Jean Rifaud, ein Mitarbeiter Bernadino Drovettis, hat sich hier als Finder verewigt. Diese Unsitte der Kennzeichnung von Fundstücke fand ihren Ursprung bei Belzoni, Drovettis größtem Rivalen in Sachen Schatzsuche und hat, sehr zum Ärger heutiger Ägyptologen, noch lange Zeit Nachahmer gefunden. Das Ausstellungsplakat des Historischen Museums ziert eine Abbildung des Amenophis I.. Er wurde als Gründer des Handwerkerdorfes Deir el-Medineh zusammen mit seiner Mutter Ahmose Nefertari kultisch als Schutzgottheit und Orakel verehrt. Gegen Ende der Ausstellung taucht das Bild der vergöttlichten Königinnenmutter auf der Schulter der Kalksteinfigur des opfernden Penmerenab wieder auf. Doch mehr soll nicht verraten werden, sonst ist es mit der Entdeckerlaune nicht weit her.
Der ausgezeichnete Erhaltungszustand der Exponate lässt einen staunen und ein Schauer der Ehrfurcht läuft einem über den Rücken, wenn man bedenkt, dass, um mit Napoleons Worten zu sprechen, vierzig Jahrhunderte auf uns blicken.
Projekt Assiut
Die Ausstellung endet am Gebel Assiut al-gharbi, dem Nekropolenberg von Assiut. Der Berg ist ein "Wissensarchiv" mit eingeschränktem Zugang für die Forschung. Hier wurde in einem Zeitraum von mindestens 5000 Jahren Mitglieder unterschiedlichster Kulturkreise (und Glaubensrichtungen) bestattet. Ein internationales Team, Mitglieder der Johannes Gutenberg Universität Mainz, der FU Berlin und der Universität Sohag in Ägypten, stellen nun moderne Methoden der Ägyptologie und nebenbei die aktuellsten Ergebnisse der Erforschungen am Gebel Assiut vor. Ein weiterer Kreis wird damit geschlossen: Napoleons Kunst- und Wissenschaftskommission waren die ersten Forscher in Assiut gefolgt von Ernesto Schiaparelli, dem das Turiner Museum das vollständig erhaltene Grab des Minothep aus Assiut zu verdanken hat.
Das Junge Museum
Den jungen MuseumsbesucherInnen gilt im Historischen Museum, wie gewohnt, ein besonderes Augenmerk. Interaktive Medienstationen sorgen für ein intensives Museumserlebnis und beweisen gleichzeitig, dass Lernen vor allem eines ist: ein großes Vergnügen. Der hohe Stellenwert des Nils für das Leben in Ägypten wird anhand eines aufwändigen Flussmodels vermittelt. Ein Grabungszelt und ein altägyptisches Boot laden zum Forschen ein. Der eigene Name oder eine verschlüsselte Botschaft kann in Hieroglyphen umgesetzt werden. Und besonders mutige Entdecker können in eine geheimnisvolle Grabkammer hinabsteigen.
Rahmenprogramm
Begleitend zur Ausstellung ist ein reich bebilderter Katalog erschienen, der mit aufschlussreichen Beiträgen von internationalen Ägyptologen zu einem vertiefenden Studium einlädt. Hervorzuheben ist die kritische Auseinandersetzung mit der eurozentristischen Sichtweise der frühen Forschungsreisenden, die sich als die wahren Wissensträger der ägyptischen Kultur verstanden haben. Diese reflektierte Haltung wird durch ein Interview mit den ägyptischen Grabungsarbeitern der aktuellen Kampagnen besonders unterstrichen.
Während der gesamten Dauer der Ausstellung wird zusätzlich ein Rahmenprogramm geboten, das von Workshops für Lehrer über wissenschaftliche Vorträge und sogar einem zauberhaften Märchenabend reicht.
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