Schauplatz Krankenhaus

Krankenhäuser sind "einmalige Schauplätze für Zwischenmenschliches", sagte sich Matias Grzegorczyk, zog los, recherchierte über einen längeren Zeitraum in einer Krankenstation und legt jetzt einen bemerkenswerten Roman vor.

Wenn du schläfst

Das Meer ruft

Die Geschichte einer jungen Frau, die in trostlosen Verhältnissen leben muss, ihre Welt aber im Meer findet.

Nixenkuss

Eine Sprache mit Spannung lernen

Einen spannenden Krimi lesen und gleichzeitig Spanisch lernen? Die Reihe Lernkrimi machts möglich.

Der unheimliche Mönch

betörend. - gefährlich! - verhängnisvoll?

Wenn ein braver Professor in die Fänge einer nicht so braven Professorin gerät...

Die Professorin

Der Sprache beraubt

Mark Dunn knüpft an die unheilvollen Utopien eines George Orwell oder Aldus Huxley an, indem er die zunehmende Paranoia eines fiktiven Inselstaates skizziert.

Nollops Vermächtnis

Reflexionen auf hoher See

Kap Zorn, Cape Wrath, ist der nördlichste Punkt des schottischen Festlandes und markiert den stürmischen Außenposten des britischen Königreiches, dort, wo Nordsee und Atlantik aufeinander treffen. Kap Zorn ist auch der Titel eines über mehrere Jahre entstandenen Reisebuches von Björn Larsson, einem passionierten schwedischen Segler, der zusammen mit seiner Frau Helle über sechs Jahre lang auf seinem Segelboot "Rustica" die Gewässer der gefährlichsten Meere Europas kreuzte: Die Nordsee, die Biscaya, den nordwestiberischen Atlantik vor der "Küste des Todes", den Ärmelkanal und das Revier vor Irlands Südküste. Während dieser Zeit war die "Rustica" das einzige Zuhause des Paares, welches sich für die Zeit von allem festen Besitz trennte. Dabei ist Larsson bei weitem kein typischer Abenteurer vom Schlage eines Arved Fuchs oder Rüdiger Nehberg: Er ist vielmehr ein Beobachter, ein Freiheitssuchender, ein Sehnsüchtiger, ja ein Philosoph. Larsson beschreibt sich selbst als ruhelose und entwurzelte Seele, den die pure Lust am Reisen, "des Menschen urälteste Lust", aufs Meer trieb, welches ebenso ruhelos die Reisenden aller Länder empfängt, belebt oder versinken lässt. Larsson, Jahrgang 1953, verbrachte 22 Jahre seines Lebens im Ausland, in Irland, Dänemark, auf dem Nordatlantik und in Frankreich. Heute lehrt er französische Literatur an der Universität von Lund, Schweden und hat nach eigenen Worten sein Ziel erreicht, bis zum vierzigsten Lebensjahr nicht in allzu feste Bahnen zu geraten. Als literarisch-philosophisches Vorbild zitiert Larsson in Kap Zorn immer wieder den schwedischen Schriftsteller Harry Martinson und seine Bücher "Cape Farewell" (Kap Lebewohl) und "Reisen ohne Ziel". Nach Martinson, der laut Larsson aufgrund seiner sprachlichen Kraft als kaum übersetzbar gilt, ist "die Lust am Reisen des Menschen ureigenste Bestimmung, auch wenn Hunger und Liebe zu ihrem Recht gelangten". So beobachtet Larsson die Menschen und die Welt, wie sie sich von seinem Boot aus darstellen, zwar auch mit neugierigem Blick im Stile eines Paul Theroux oder Bruce Chatwin, doch ist der Blick eher nach Innen gerichtet und erinnert an Henry David Thoreau's Walden oder Prentice Mulford's "Sinn und Unfug des Lebens und Sterbens". Der Kosmos des Schreibenden ist die Weite des Meeres, die allerdings keine Flucht nach außen darstellt, sondern vielmehr eine Emigration nach Innen, nach sich selbst. Larsson und seine Gefährtin begegnen immer wieder Weltumseglern in den Häfen rund um Nordsee und Nordatlantik - teilweise ist es ein Wiedersehen, teilweise ein Abschied auf immer, doch die Menschen, denen Larsson in den vielen Häfen begegnet, sind stets präsent. Sie beschäftigen ihn - auch Monate, ja Jahre nach der ersten Begegnung, denn in den vielen, stillen Stunden bei nächtlicher Fahrt, wo kein Fernsehen, keine Zeitung, kein Internet irgendeine Nachricht transportieren, verbleiben die letzten Gespräche an Land besonders lange und deutlich. Es ist die Seele jedes Menschen, die mit ihm reist. Björn Larsson segelt mit zwei Kräften: Der Energie des Windes und den Sehnsüchten der Seelen. Gerade Nachts wird das Segeln auf offenem Meer zum transzendentalen Vorgang, der auch Nicht-Seglern spürbar wird. Wer glaubt, die raue Nordsee oder der graue Ärmelkanal stellen kein so interessantes Segelrevier wie die Karibik oder die Südsee dar, wird durch Larsson eines Besseren belehrt: Tatsächlich transformieren verschiedene Faktoren die westeuropäischen Meere zu den gefährlichsten Gewässer weltweit: Intensive Schifffahrt, mächtige Gezeiten, Strömungen, Nebel, Tidenhub, Sandbänke, ja vor allem verloren gegangene Stahlcontainer, die wie unsichtbare Eisberge ein Boot bei Kollision kentern lassen können, stellen eine hohe Herausforderung für den Segler dar: Spätestens bei der Beschreibung einer Fahrt vom französischen Cherbourg Richtung belgisches Dunkerque wird deutlich, dass der Ärmelkanal nichts für Anfänger ist. Larsson schildert die Fahrt in stürmischer See derart intensiv und gleichzeitig distanziert, dass der Leser meint, hier filmt jemand vom Flugzeug aus eine Transatlantik - Fahrt. Larssons Buch ist weder ein Roman, noch ein Seglerbuch, sondern eher, wie er selber angibt, eine Reflexion mit Gedanken über das Leben, vom Deck eines Segelbootes aus betrachtet. Larsson hofft, dieses Buch würde eine Inspirationsquelle sein, "für diejenigen, die noch von einem anderen Leben träumen." Ganz sicher ist "Kap Zorn" eine solche Quelle. Larsson hat sie bereits gefunden…

Kap Zorn

Facettenreiches Kulturland

Andalusien! Glühende Hitze, Flamenco, maurisches Erbe - einige der Assoziationen, die sofort bei diesem Namen geweckt werden. Andalusien steht aber auch für einen Wandel von einem der ehemalig ärmsten Agrargebiete Europas zu einer qualitativ hochwertigen Tourismusregion mit all seinen daraus resultierenden Vor- wie Nachteilen. Neben den reizvollen Küsten an Atlantik und Mittelmeer bietet Andalusien auch ein attraktives Hinterland mit Berglandschaften, Sümpfen und Korkeichenwäldern. Andalusien bietet einen Gegensatz von ruraler Abgeschiedenheit, etwa in der Sierra de Jaén und modernem Großstadtleben wie in Sevilla. Andalusien beherbergt sowohl die jüngsten Gemeinden Europas als auch die älteste westeuropäische Zivilisation mit der über 3000 Jahre alten Stadt Cádiz. Diese autonome Provinz Andalusien, mit einer Fläche von 87.260 Quadratkilometern größer als Österreich, ist also ein facettenreiches Kulturland, welches sich beschreibenden Worten mehr und mehr entrückt, je weiter sich der Reisende in das Land begibt. Wenn man dieses Land, welches seinen Namen von den Vandalen bekam, die sich hier und im Norden des heutigen Marokkos während der Völkerwanderung niederließen und ihr Königreich gründeten, überhaupt in einem Satz charakterisieren möchte, dann vielleicht so: Andalusien - Land der Gegensätze! Nacheinander von Ost nach West beschreibt Schröder die sieben Provinzen Andalusiens. Er beginnt mit einer allgemeinen Einführung zum Reiseland. Es wird in anspruchsvoller, jedoch nicht abgehobener Sprache auf Geographie, Geschichte, Gebräuche und Gesellschaft des Landes eingegangen. Zu jeder beschriebenen Provinz und Stadt erhält der Leser ein detailliertes Kartenwerk und illustrierende Fotografien. Ein ganzes Kapitel widmet der Autor reisepraktischen Tipps wie Anfahrtsbeschreibungen per Auto, Flug und Zug, Preisen, Adressen für Hotel, Gastronomie und Tourismus-Service, ärztlicher Versorgung, Wandertipps, Öffnungszeiten von Museen und vieles mehr. Abgeschlossen wird das Buch mit einem kleinen Sprachführer und einem genauen Register. Antike, Mittelalter, Neuzeit Einen besonderen Focus richtet Thomas Schröder auf die bewegte Geschichte und die daraus resultierende vielfältige Kunstgeschichte des Landes: Er beschreibt einen weiten Bogen von der ersten menschlichen Besiedlung in der Jungsteinzeit hin zu den Phöniziern, die das Gebiet beiderseits der Straße von Gibraltar zunächst als Flottenstützpunkt nutzten und schließlich als Handelszentrum ausbauten. Es folgten Griechen, Karthager und natürlich die Römer, welche im 2. Punischen Krieg 218-201 v. Chr. auf der iberischen Halbinsel gegen die Karthager kämpften und ihnen erfolgreich die Hispania Ulterior genannte Provinz entrissen. Betis war der Name des seit der maurischen Ära Guadalquivir getauften Flusses, welcher Córdoba und Sevilla durchströmt und zwischen Huelva und Cádiz in den Atlantik mündet. Noch heute benennen sich zahlreiche andalusische Fußballclubs nach dem römischen Namen, der bekannteste und erfolgreichste: Real FC Betis Sevilla. Der Beginn der germanischen Völkerwanderung beschleunigte den Zerfall des Römischen Imperiums, vor allem in seiner Westhälfte: Westgoten und besonders Vandalen ließen sich in der ehemaligen römischen Provinz nieder und gründeten sowohl im Norden Afrikas als auch im Süden Spaniens die ersten christlichen Königreiche. Nicht nur Andalusien, auch der Norden des heutigen Marokkos, genannt Al-Andalus, erhielt seither den Namen des Stammes der Vandalen. Einen besonderen Wert legt Schröder auf das arabische Erbe Andalusiens und hält einen chronologische Abriss von der fast 800 Jahre währenden Eroberung, Besiedlung und Kultivierung der iberischen Halbinsel durch die arabischen Herrscher und ihrer berberischen Söldnertruppen, die auch Mauren oder Moros genannt wurden und bis heute so von den Andalusiern genannt werden. Weiter führt uns Schröder in die Ära der Reconquista, die Wiedereroberung Spaniens durch die Christen, die folgende, wenig ruhmreiche Inquisition und Vertreibung der Araber und Juden aus Andalusien und schließlich in das Zeitalter der Entdeckung und Kolonisierung Amerikas, was zu einem rasanten Aufstieg der Provinz Andalusiens, besonders der Hafenstädte Huelva, Cádiz und Sevilla führte. Nach dem Siglo de Oro, dem goldenen Zeitalter - mit einer Entwicklung andalusischer Literatur, Architektur und Kunst - bedeutete der Verlust der letzten spanischen Kolonien im Krieg mit den USA 1898 den endgültigen Niedergang Spaniens und vor allem Andalusiens in die politische Bedeutungslosigkeit und den wirtschaftlichen Ruin. Besonders der Verlust von Kuba und Puerto Rico mit dem wichtigen Zuckerrohr, Rum und Tabakhandel wirkte sich für die Hafenstädte Cádiz und Huelva bis in die heutige (!) Zeit schwerwiegend aus. Gesellschaft und Gebräuche Es ist Thomas Schröder hoch anzurechnen, dass er sich die Mühe einer intensiven Geschichtsschilderung und Landeskunde in seinem Reiseführer gewidmet hat: So werden dem interessierten Reisenden die größtenteils historisch bedingten Sorgen, Probleme und Konflikte der heute lebenden andalusischen Bevölkerung skizziert. Vielleicht hilft dies, ein besseres Verständnis für den manchmal sehr gegensätzlich wirkenden andalusischen Charakters zu entwickeln, der Außenstehenden einerseits sehr freundlich, lebenslustig und herzlich aber auch trotzig, verschlossen und kaltschnäuzig begegnen kann. Das Land, welches nie eine humanistische Aufklärung und eine Bodenreform erfuhr, steht bis heute in einer Spannung aus Stolz und Tradition einerseits und Misstrauen und Komplexen andererseits. Schröder geht auf diese Widersprüche ein, er beschreibt die Konfrontation von klassischen Werten, alten Traditionen und Familienehre mit der wirtschaftlichen Entwicklung, den durch Touristen importierten Werten und Moden und der politischen Neuorientierung Spaniens innerhalb der EU. Diese Konfrontation generiert Konflikte wie den einsetzenden Zerfall von Familien, Landflucht, Schaffung von neuem Reichtum und neuer Armut, Spekulation und Nationalismus. Gleichzeitig entstehen aber auch wirtschaftlicher Aufschwung, eine Liberalisierung der Gesellschaft, ein modernes Dienstleistungsklima: Andalusien ist wie viele Regionen in Europa ein Land im Wandel. Schröder hilft mit seinen gut recherchierten Beiträgen, dem Reisenden einen kontrastierenden Blick für das Land zu entwickeln. Urlaubsrelevante Aspekte Hat der Leser die historischen, kulturellen, geographischen und soziologischen Informationen angenommen, darf er sich über eine wohl geordnete, klassische Funktion eines Reiseführers freuen: Nach den sieben Regionen Andalusiens (Jaén, Almería, Granada, Córdoba, Málaga, Sevilla, Huelva, Cádiz) gegliedert, weist Thomas Schröder auf die Klimabedingungen und Landesnatur der Provinzen hin, gibt Tipps für die beste Reisezeit und die Reiserouten, listet Adressen und Öffnungszeiten auf, weist auf regionale Besonderheiten hin. Er hebt besondere Sehenswürdigkeiten wie die Alhambra in Granada, den Naturpark von Donana oder Ausgrabungsstätten in Cádiz hervor. Ein appetitanregender Gastronomieführer, ein Museumsratgeber und Shopping-Tipps zu jeder besprochenen Stadt runden das Bild eines gut gefüllten Reiseführers ab. Eine große Leistung vollbringt Schröder, indem er Andalusien auch für Alpintouristen öffnet und als El Dorado für Bergwanderer, Skifahrer, Segelflieger etc. beschreibt. Denn oft wird vergessen: 90 Prozent der Oberfläche Andalusiens ist gebirgig und bietet mit Sierra Morena und Sierra Nevada eine hochalpine Landschaft in der Höhe von über 3000 Metern. Von den Bergen zur See: Natürlich hat der Autor ein großes Herz für sonnenhungrige und wasserdürstende Urlauber und hat fernab des Massentourismus viele kleine Buchten und Naturstrände an den Küsten der beiden großen Meere entdeckt. Wer kühleres Wasser nicht scheut, passionierter Surfer ist und etwas mobil bleibt, wird neben den Hot Spots der Costa del Sol an der Mittelmeerküste vor allem an der Atlantikküste, der Costa de la Luz, dank Schröder noch einige traumhafte Naturstrände erleben. Von der See zur Steppe: Wer wirklich einmal völlig abschalten will, wird sicherlich bei Schröders Beschreibung der Provinz Almería und ihrer Wüstenlandschaft wertvolle Tipps finden. Gerade die Beschreibung dieser menschenleeren, von rotem Sand und Kakteen geprägten Provinz (übrigens die größte Obstanbauregion Spaniens) wird in vielen Reiseführern ungerechterweise ignoriert, auch hier hat Schröder die Nase vorn. Fazit Land im Wandel, Land der Traditionen. Berge und Küste. Wüsten und Wälder. Großstadt und Hinterland. Thomas Schröder beschreibt in seinem Buch, dass Andalusien in jeder Hinsicht vor allem eines ist: Ein Land der Gegensätze. Angelehnt an dieses Leitmotiv bespricht das Buch sämtliche Provinzen, sämtliche klassischen Reiseroute, macht neugierig und verbreitet die Lust auf mehr. Dennoch will ich an dieser Stelle zwei Wermutstropfen nicht verschweigen: Das Druckniveau der Schwarzweiß Fotos lässt zu wünschen übrig, was um so mehr auffällt, als dass die Farbfotos eine insgesamt gute Qualität aufweisen. Weiterhin sind die Restaurant-Tipps, die Shopping-Tipps und vor allem die Nightlife-Tipps gerade in den großen Städten mitunter etwas dürftig ausgefallen, was besonders ein junges Lesepublikum geschätzt hätte. Dieser Aspekt fällt auch deshalb auf, weil andere Kapitel des Buches sauber recherchiert und dokumentiert sind. Insgesamt ist 'Andalusien' ein wirklich gut geschriebenes und spannendes Buch, was die Reisenden trotz des hohen Seitenumfangs gerne in ihr Gepäck legen werden.

Andalusien

PR-Schattenseite

Eine Affäre, die der PR-Branche wie auch Teilen der Presselandschaft deutlichen Schaden zugefügt hat.

Die Affäre Hunzinger

Europas wildes Herz

Wer bei der Lektüre von Ralf Nestmeyers Reiseführer "Haute-Provence / Hautes-Alpes" den Titel ignoriert, könnte meinen, er befände sich in einem Land fernab Europas - mit gleichsam rauen, wie reizvollen Landschaften, stolzen, zurückhaltenden und vor allem wenigen Menschen. Das Gegenteil ist der Fall: Der Autor führt uns mitten hinein in Europas wildes Herz, den äußersten Südosten Frankreichs zwischen den Skigebieten der Seealpen und mediterranen Badeorten wie St-Tropez. Wer hätte gedacht, dass selbst in der sommerlichen Hochsaison viele ruhige und entrückte Orte nahe der Cote d'Azur dem Einkehr Suchenden Abstand und Entspannung geben können? Die Region: Welt der Wunder Ralf Nestmeyer ist ein Kenner der Region, nicht nur hinsichtlich ihrer aktuellen Reize und Reiserouten, sondern vor allem ihrer Geschichte und Gesellschaft. Wussten Sie, dass die Wurzeln von mehr als 20.000 Mexikanern im Ubaye-Tal liegen? Dass Lioux kein Indianerstamm, sondern ein provenzalisches Dorf ist? Oder dass Europas größter Canyon im Verdon-Tal liegt? Wem die Reise in die Neue Welt zu lang oder zu teuer ist, der kann also bequem in unser Nachbarland fahren, um dort Wunder und Welten zu entdecken, die man sonst auf anderen Kontinenten glaubte. Ab dem 19. Jahrhundert gingen zwei Drittel der jungen Männer des verarmten provenzalischen Ubaye-Tals nach Mexiko, um dort ihr Glück zu suchen. Trotz des Vorsatzes, nur so lange in Mittelamerika zu bleiben, bis Wohlstand und Erfolg gesichert wären, kehrten gerade zehn Prozent der Emigranten wieder in ihre südfranzösische Heimat zurück - die überwiegende Mehrheit integrierte sich nach und nach in die aufstrebende mexikanische Gesellschaft. Die wenigen Heimkehrer stellten ihren Reichtum indes deutlich zur Schau und errichteten prunkvolle Herrenhäusern und Mausoleen anstelle simpler Gräber, welche auch heute noch in der Gegend um Ubaye bewundert werden können. Das provenzalische Dorf Lioux zeigt Eindrücke ganz anderer Art: Direkt hinter dem Ort steigt eine mächtige Felswand hundert Meter senkrecht in die Höhe. Landschaftlicher Höhepunkt der Haute-Provence ist aber sicherlich der Grand Canyon du Verdon: Auf 170 Kilometern schneidet die Verdone einen tiefen Riss in die Erde, bis sie schliesslich südlich von Manosque in die Durance mündet. Wer dem Lauf des mitunter reissenden Flusses von 2.500 Meter Höhe bis zum Ende folgen möchte, dem hat Nestmeyer anhand von Karten und Bildmaterial einige Impressionen beigefügt. Für Nase, Mund und Auge Die Qualität der Fotos hat sich in diesem neuen Reiseführer des Michael Müller Verlages markant verbessert. Es heisst jetzt "Mittendrin" statt "Nah dabei"! Vor allem die Aufnahmen üppiger Lavendelfelder, welche eine der wirtschaftlichen Haupteinnahmequellen der Region sind, lassen den Leser fast den würzig-frischen Duft erahnen, der zusammen mit den lila Lavendelblüten die Landschaft der Provence charakterisiert. Nestmeyer kommt von den Kräutern auf die Küche und vergisst nicht, die provenzalischen Gaumenfreuden zu beschreiben, denen wie kaum in einer anderen Gegend Frankreichs Majoran, Estragon, Rosmarin, Thymian beigefügt werden, welche an nahezu jeder Hauswand zu gedeihen scheinen. Allerdings wäre es für den Leser hilfreich, das Kapitel der Kulinaria noch etwas mehr zu behandeln, denn es erscheint im Gesamtkontext des Reiseführers etwas knapp. Zwar beschreibt der Autor die Haute-Provence wiederholt als herb und rustikal, doch dies gilt bestimmt nicht für die deftige Küche, die nicht nur Lamm, Wild und Geflügel im Ofen zu Kunstwerken verwandelt, sondern sich auch in Poseidons Garten des nahen Mittelmeeres bedient. Durch die Geschichte zur Seele Die Stärke Nestmeyers, durch erworbene Kenntnis und genaue Beobachtung der Menschen der Haute-Provence, ihrer Geschichte, Wirtschaft und Kultur bis zu Ihrer besonderen provenzalischen Sprache zu beschreiben und damit tief, aber behutsam in ihre Seele einzudringen, scheint bisweilen nicht frei von Akribie. Dies ist für den praktischen Zweck eines Reiseführers natürlich nicht abträglich, doch es fällt bei Themen wie der Gastronomie und der Freizeit eben auf, dass sie spartanischer behandelt werden als soziale und historische Themen. Je nachdem, was der Leser von einem Reiseführer erwartet, ist dies aber genau der Unterschied und vielleicht auch Pluspunkt gegenüber vergleichbarer Reiseliteratur: Wenn der Urlaub in erster Linie ein Entdecken sein soll, so überlässt es der Autor den Reisenden, wo sie ihre Sinne kitzeln können und liefert Hintergründe und Fakten, die sich sonst nur schwer erschliessen lassen. Fazit Insgesamt betrachtet, ist es dem Michael Müller Verlag erneut geglückt, einen rundum praktischen wie informativen Reiseführer herauszugeben. Vor allem der historische und kulturelle Kontext ist spannend beschrieben. Nestmeyer, der bereits fünf Reisebücher über französische Reiseziele publiziert hat, besteht auch die sprachliche Reise auf einem dünnen Grat zwischen Pragmatismus und kritischer Betrachtung. Gerade die Fussnoten respektive Arten- und Naturschutz sind ein Plus für einen modernen Reiseführer. Wünschenswert wäre, neben einer differenzierteren Betrachtung von Küche und Freizeit auch eine breitere Darstellung der Reisetipps für Behinderte, Familien, Senioren und Gays. Der Aufbau des Reiseführers "Haute-Provence / Hautes-Alpes" folgt einer klaren und übersichtlichen Struktur: Nach einer allgemeinen Einführung erfährt der Leser Wissenswertes zu Geschichte, Geographie und Gesellschaft. Zur eigenen Recherche folgen Buchhinweise zur Region. Danach bekommt der Leser praktische Reisetipps von A bis Z. Erst nach dieser Grundlage geht der Autor auf die einzelnen Reiseziele ein, welche er in sieben Kapitel - topographisch betitelt - unterteilt. Jedes Kapitel beinhaltet die klassischen Tipps zu Lage (stets per Kartenhilfe!) Unterkunft, Gastronomie, Literatur und lokalen Adressen, aber auch Anekdoten, Eigenarten und Geschichten zur Region. Sachlich, wie es überhaupt das ganze Buch ist, regt der Autor dazu an, dem Verlag eigene Reisetipps, Kritik oder Hinweise nach dieser ersten Auflage zu senden, die in kommenden Ausgaben berücksichtigt werden könnten. Bereits jetzt ist eines sicher: Wer in das wilde Herz der Haute-Provence aufbricht, ist bestimmt gut beraten, den Reiseführer "Haute-Provence / Hautes-Alpes" als Pulsmesser ins Gepäck zu geben.

Haute-Provence