Verstreute Betrachtungen über alles Mögliche. Tobias Premper sinniert vor sich hin
An literarischen Formen fehlt es nicht. Der 1974 in Celle geborene Schriftsteller Tobias Premper hat bereits Romane, Gedichte und manches mehr verfasst. Erschienen ist nun ein neues Notizbuch mit Aufzeichnungen von 2010 bis 2017. Premper probiert sich aus, denkt der Leser rasch, der sich im höchst eigensinnigen und mitunter absurd bis grotesk anmutenden Band zu orientieren versucht. Die Frage, warum ein Autor diese Beobachtungen und Betrachtungen, geschöpft aus dem Alltag, der Fantasie und aus Werken der Weltliteratur, publiziert, stellt sich rasch ein. Oft werden bekannte Jazzmusiker, von John Coltrane bis Charlie Parker, genannt – jazzt also Tobias Premper ein wenig, spielt mit Gedanken und Worten, musiziert abenteuerlich mit der Sprache?
Übers Zwischenmenschliche wird nachgedacht: "Man kommt mit einer schönen Frau ins Gespräch und dann ist es doch wieder nur die falsche." Möglicherweise teilen einige Leser diese Ansicht und halten sie für eine Einsicht. Erkennen wir Spuren der Resignation? Offenbart sich hier eine männlich getönte Weisheit, lapidar, ja lakonisch formuliert? Wenig später erläutert der Autor seine Tätigkeit: "Ich schrieb in mein Notizbuch und klappte es zu. Mein Notizbuch schrieb in mich und klappte mich zu. Dann begann es zu regnen, und der Sommer war vorbei." Manche Leser mögen beherzt darüber lachen – sehen Sie die verborgene Komik? Ich nicht, und ich sehe auch nicht das Absurde. Die zueinander gefügten Gedanken, Worte und Bemerkungen ergeben schlicht keinen Sinn. Aber vielleicht soll das so sein? Natürlich, Literatur darf unsinnig sein. Handelt es sich hier um Literatur? Premper motiviert zur Lektüre, auf seine ganz eigene Art: "Dränge den anderen den Sinn nicht auf, aber gib ihn nicht auf." Vielleicht findet sich in dem Buch noch Philosophisches oder Politisches. Fast alles freilich kann als eine Art von Philosophie verstanden werden. Aus der Fülle des Sinnlosen ergibt sich kein Sinn, ganz gewiss. Premper ermuntert, über die bunte Welt der Verschwörungsmythen nachzudenken: "Die gekürzten, zensierten Texte, die in den zusammengeschnürten Tageszeitungen stehen, und die ursprünglichen, freien Fassungen, die niemand zu lesen bekommt." Auch unvollständige Sätze wie diese finden sich im Fluss der Notizen, Anmerkungen und Beobachtungen. Ab und zu entdeckt der Leser erotische Fantasien: "Nachdem er ihre Brüste gestreichelt hatte, lief er davon wie ein Junge, der Bonbons gestohlen hatte. Und sie konnte nicht aufstehen, sie hatte es zugelassen, dass er ihre Brüste gestreichelt hatte." Selbstironisch könnte die folgende Bemerkung gemeint sein: "Ich beginne ein weiteres missglücktes Notizbuch." Irgendwann erscheint eine Notiz tatsächlich sentenziös-philosophisch: "Denke in guten und in schlechten Zeiten an die Vergeblichkeit aller Anstrengungen und allen Seins. Nur so lassen sich Niederlagen und Triumphe ertragen." Manch ein Mensch mag dazu verständig nicken. Aber wirkt diese Weisheit nicht doch wie ein Kalenderspruch, erhaben, feierlich formuliert, im Grunde nichtssagend? Vielleicht denken wir uns dann: Das ist alles nur ironisch gemeint.
Nachdenken können Leserinnen und Leser über Passagen, die an Traum- oder Alptraumsequenzen erinnern: "Nichts als die Wahrheit: Ein Flugzeug ist in mein Zimmer gestürzt; ich wurde von maskierten Heuschrecken entführt; ich habe Polen befreit; ich habe meinen Pimmel aus dem Staubsauger befreit; der Dalai Lama und Franz Kafka bitten um meinen Rat." Lächeln Sie darüber? Das alles ist natürlich nichts, was als Wahrheit zu bezeichnen wäre, nur Worte, Sätze, irgendwie aneinandergefügt. Absurd ist das gewiss, aber deswegen schon Literatur? Nun ist Literatur, so wenig wie Philosophie, ein geschützter Begriff. Tobias Premper präsentiert beständig Lebensweisheiten, etwa diese: "Bleib ganz ruhig, du bist bloß die Wolke, die vorüberzieht, die Welle, die auf dem Strand aufschlägt, das Blatt, das vom Wind übers Feld geweht wird; du wirst viel vollbringen, es werden dir Dinge gelingen, von denen du jetzt noch keine Vorstellung hast, aber es wird dir nicht alles gelingen. Bleib ganz ruhig und vergiss nicht zu lachen."
Vielleicht lädt dieses Buch zum Lachen ein? Eine gewisse Ratlosigkeit bleibt nach der Lektüre. Ein Beispiel sei genannt, noch eines: "Ich vermisse dich von der Leber bis zur Zunge." Verstehen Sie Tobias Premper? Ich bleibe ratlos. Nur Beobachtungen wie diese erschließen sich mir: "Ein schönes Mädchen saß auf einer Bank in der Sonne und las in einem Buch. Ich ließ sie sitzen, lesen und schön sein." Was mich betrifft, ich hätte die junge Dame vielleicht gern angesprochen, aber beim Lesen auch nicht gestört. Das ist taktvoll und angemessen. Prempers Notizbücher enthalten Bemerkungen, Ansichten und Beobachtungen jeglicher Art. Vielleicht mögen sich einige Leser davon anregen lassen. Andere könnten sich darüber aufregen. Vielen könnte diese Art Literatur auch gleichgültig sein. Manche werden sich darüber amüsieren. Nicht wenige dürften schlicht ratlos bleiben und dieses Buch einfach achselzuckend nach der Lektüre wieder zuklappen.
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