Unterwegs in den eigenen vier Wänden - Karl-Markus Gauß' Symbiose von Alltag und Reisen
Am Tag nach einer Lesung in Mantua hatte Karl-Markus Gauß noch Zeit, einen Ausflug nach San Benedetto Po zu machen. Das Städtchen, in Reiseführern als 'Juwel Italiens' besungen, wirkte auf ihn eher öde, zumindest der Hauptplatz, auf dem Gauß den Skatern zuschaute, aus deren Schar, wie er vermutete, die Verwegensten "am längsten in diesem Ort bleiben, in dem zu leben sie als Verdammnis empfinden."
Das Provinzielle war, ausgerechnet in einem touristischen Kleinod, so unmittelbar und hart auf Gauß geprallt, "dass ich es kaum mehr erwarten konnte, heimzukommen." Zurück in Salzburg, brach er sofort zu einer neuen Reise auf. Sie sollte ihm die große weite Welt eröffnen, der er sich in Orten wie San Benedetto Po niemals auch nur ansatzweise nähern würde. Start und Ziel war eins. Beides befand sich in seiner Wohnung.
Gauß hatte sie, gemeinsam mit seiner Frau, vor einem Vierteljahrhundert erworben. Ausgestattet mit asymmetrischen Räumen, bot sie nicht nur einer vierköpfigen Familie Platz, sondern auch einer bald fünfstelligen Anzahl Bücher. Hatten diese im Vorgängerdomizil, dicht gedrängt und doppelt gereiht, die Regale überquellen lassen, ließen sie sich nun, in übersichtlichem Arrangement und luftiger Anordnung, jederzeit in die Hand nehmen.
Doch dürfen die Bücher, bei all ihrer Präsenz, Gauß nicht das Gefühl geben, in einer Bibliothek zu leben. Zum Glück birgt die Wohnung weitere Gegenstände, die den Alltag mitgestalten und deren Betrachtung wiederholt Streifzüge über die zuweilen doch eng werdenden vier Wände hinweg ermöglichen. Solche kleine Fluchten finden dann im Kopf statt.
"Der Glanz des Lebens", bekennt Gauß, "liegt entweder über dem Alltag und wie man diesen vom Aufstehen bis zum Schlafengehen besteht — oder es gibt ihn nicht." Andernfalls wäre jede noch so schöne Tour eher ein Ausbruch als ein Ausflug, und die unvermeidliche Rückkehr nichts als der Wiedereinzug in ein Gefängnis. Gauß ist sich seines privilegierten Alltags bewusst, den er, freier Autor, ohne Chef und feste Arbeitszeiten komplett unabhängig gestalten darf. Diese Chance will er nutzen und gleichzeitig ein interessiertes Publikum auf seine "Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer" mitnehmen.
Vöcklabruck und Zlín sind die ersten Stationen. In beiden Industriestädten, einst in einem Reich, heute in zwei verschiedenen Staaten angesiedelt, versuchte jeweils eine einzige Fabrikantenfamilie ihren Beschäftigten die bestmögliche Symbiose von Wohnen und Arbeiten zu bieten. Ob das gelungen ist? Nicht jeder wünscht zu viel Nähe zu seinem Berufsleben. Da ist die Symbiose, die Gauß sich selbst geschaffen hat, doch wesentlich angenehmer.
Elegant assoziiert Gauß seine Reiseziele herbei, via Familie (seine Frau stammt aus einer Meraner Hoteliersfamilie, die eigenen Vorfahren aus der serbischen Vojvodina), über Alltagsgegenstände wie Teetassen (deren liebste als Ursprung die Autonome Region Gagauzíya in der Republik Moldau verzeichnet) oder Duschhauben (die er, alles andere als ein Sammler, als Überbleibsel seiner realen Reisen archiviert, nachdem das erste Exemplar in einem Hotel im finnischen Mariehamn zu ihm fand), per Reflexion eigener Steckenpferde (etwa das Spiel mit der Sprache, das Gauß meisterhaft beherrscht und ihn auf Umwegen nach Bozen führt, zu einem verqueren Vertreter des Genres namens Ettore Tolomei, dessen vornehmste Aufgabe wiederum die Italianisierung Südtiroler Ortsnamen während des Faschismus war) oder auch anhand der Bilder an den Zimmerwänden (von denen nicht wenige Gauß' Freund und einziger Förderer Herbert Breiter malte, der ihm auch die Landschaften der Südsteiermark und der peloponnesischen Mani zugänglich machte).
Gauß hat sein Buch einige Zeit vor der aktuellen Krise geschrieben und, wie er betont, "keinen literarischen Ratgeber für schwierige Lebenssituationen verfasst." Schließlich sei es "ein Unterschied, ob man sich freiwillig zurückzieht oder der Rückzug verfügt wird." Vielmehr wolle er zeigen, welches Geschenk es sein kann, "wenn man die eigene Wohnung genauer wahrnimmt" und "die Dinge, die um einen sind, gleichsam wiederentdeckt." Es ist ein sehr persönliches Geschenk und daher keines, das man vor oder spätestens nach der ersten Benutzung achtlos wieder weglegt. Statt dessen holt man es immer wieder hervor, sucht sich eine Reise aus und macht sie nochmal. Im Kopf ist das möglich.

Über Imperien in Syrien-Palästina
Diese ebenso reichhaltige wie umfangreiche Studie ist die erste Monographie, die sich schwerpunktmäßig mit der ptolemäischen Herrschaftszeit in Syrien-Palästina befasst. Ein in jeder Weise herausragendes Buch.
Imperialer Wandel und ptolemäischer Imperialismus in SyrienEin Rätsel, das eins bleiben wird
Kaspar Hauser tauchte am 26. Mai wie aus dem Nichts mitten auf dem Unschlittplatz in Nürnberg auf. Fünf Jahre gab er den Bürgern der alten Reichsstadt Anlass zu allerlei Herumrätseln. Dann fiel er einem Mordanschlag zum Opfer.
Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens / Der Fall Kaspar HauserÜber alle Kontinente hinweg
Die wohl berühmteste Weltreise der Literatur in einer schönen Schmuckausgabe.
In 80 Tagen um die WeltÜber die Zeit
Lars Gustafsson reist mit lyrischer Musikalität auf den Spuren von Johann Sebastian Bach, nur sehr viel sanfter als der Leipziger Thomaskantor, nicht mit revolutionärer Kraft, aber mit einer vergleichbaren Sensibilität.
Variationen über ein Thema von SilfverstolpeKeine gute Zeit für Freihandel und was das für uns bedeutet
Angesichts der jüngsten neoimperialistischen Reflexe der „technologisch-industriellen Oligarchie“ in den USA und des von Corporate America unter Trump angekündigten Zoll-Tsunamis ist das vorliegende Werk zum richtigen Zeitpunkt erschienen.
Der Freihandel hat fertigEin „extrem aesthetizistisches Werk“, und das „auf eine negative Art“
Heinrich Manns Roman "Der Untertan" schildert in Diederich Heßling einen der wohl widerlichsten Protagonisten der Weltliteratur.
Der Untertan