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Wulf D. von Lucius: Das Glück der Bücher

Von der Liebe zum Buch

Wie viele Gründe gibt es eigentlich, sich Büchern zuzuwenden? Eine ganze Reihe an Lese- und Leserstudien haben Motivationen der Leser und ihre Gratifikationsversprechen an das Medium Buch untersucht. Dabei sind vor allem Unterhaltung, Sinnstiftung und das soziale Erleben als wichtige Erlebnisdimensionen deutlich geworden, zu denen uns das Buch verhelfen kann. Keine dieser Studien hat allerdings das Buch als physischen Körper untersucht und das Glück unter die Lupe genommen, das von seinem Besitz und nicht von der Lektüre ausgehen kann. Der Buchexperte und Verleger Wulf D. von Lucius hat eine Auswahl seiner Aufsätze und Katalogbeiträge zur Bibliophilie aus den vergangenen 20 Jahren nun in Buchform publiziert und nimmt den Leser mit auf eine spannende Reise durch die Welt der Bibliophilie.

Eine klare Definition, was die Bibliophilie - die Liebe zum Buch - eigentlich ist, gibt es bis heute nicht. Ein einschlägiges Sachlexikon informiert, Bibliophilie sei "das Sammeln von Büchern meist von Privatpersonen zum Aufbau einer Privatbibliothek nach bestimmten Sammelkriterien." So griffig und formal richtig diese Definition ist, das was der Verleger und Büchersammler Wulf D. von Lucius unter Bibliophilie versteht, scheint sie nicht ganz zu treffen. Von Lucius berichtet in seinem Vorwort zu den Aufsätzen davon, dass ein persönliches, ein leidenschaftliches Verhältnis immer ein Ausdruck von Bibliophilie ist. Mithin kann man also Bibliophilie als eine emotionale Regung gegenüber einem Gegenstand verstehen. Das Sammeln von Büchern erfolgt also nicht (oder nicht ausschließlich) zum Aufbau einer Bibliothek, aus der man sich aus funktionalen Gründen heraus bedient. Das Bibliophilie-Verständnis von Lucius' rückt viel mehr die individuelle emotionale Beziehung zum (Kunst-)Objekt Buch in den Mittelpunkt, die man als ein persönliches Statement der Sammler gegenüber der Umwelt verstehen kann.

Und von den Sammlern, die mit Liebe ein halbes Leben auf den Aufbau einer Büchersammlung verwenden, handelt dieses Buch. Mit Blick auf die sich zuerst in Frankreich langsam ausbildende bibliophile Bewegung im 19. Jahrhundert gelangen wir zu spannenden Einsichten in die Prinzipien, die das Sammeln vor mehr als 200 Jahren bestimmt haben. Wer erwarten würde, dass ein Pariser Sammler bewusst die Entscheidung für oder gegen den Erwerb eines Buches aufgrund rationaler Einsichten macht, liegt falsch. Für die Bibliophilen im Frankreich des 19. Jahrhunderts in Frankreich ist der Prozess des Sammelns nicht damit abgeschlossen, das man im Ladengeschäft eines Bouquinisten ein besonders schönes oder seltenes Exemplar erwirbt. Einen gewissen Wert bringt das einzelne Buch immer mit, durch den Sammler allerdings wird es veredelt. Nachdem ein solches Buch gekauft wurde, ging es erst los. Dann wurden Einbände ausgetauscht und Autografen oder Briefe des Autors dem Text hinzugeheftet und das ganze Werk schlussendlich in Maroquinleder mit einem zierenden Supralibros gebunden. Das alleine dokumentiert einen radikalen Wandel im Sammlerverhalten, wenn wir es mit den heutigen Gewohnheiten im antiquarischen Buchhandel vergleichen. Dort gelten die Bücher als besonders wertvoll, die - möglichst wenig verändert - sich bis heute erhalten haben. Die einzigen Gebrauchsspuren oder Besitzvermerke, die geduldete werden, sind die von den wirklich bedeutenden Vorbesitzern. Die, die mit einer ganz individuellen Geschichte verknüpft werden können.

Rationale Einsichten und Motivation sind beim Sammeln nicht immer gefragt, sie können sogar störend sein. "Sammeln heißt lernen", so beginnt der erste Satz in dem Aufsatz "Mentoren". Der kurze Text verweist darauf, wie wichtig erfahrenere Sammler und Händler für den Neuling sind. Dieser kann, so von Lucius, entscheidenden Einfluss auf das entstehenden einer Sammlung ausüben. Der richtige und gute Mentor, zu dem man sich nur einen einzigen oder höchstens ganz wenige Fachleute machen sollte, hilft dem unerfahrenen Sammler bei dem Aufbau seiner Bibliothek in einer "zurückhaltenden Mitteilsamkeit", die nur dann aufscheint, wenn Tipps angebracht sind. Ein Aufbau einer Sammlung nach fremden Kriterien widerspricht dem, was von Lucius unter der Aufgabe des Mentoren versteht. Und einer der wichtigsten Mentoren für den Einstieg in die Welt des Büchersammelns kann er selbst sein. Jahrelange Erfahrung und ein bedeutendes wissenschaftliches Profil zeugen davon. Leider erfahren wir aus dem Buch viel zu wenig selbst über die eigene Sammlung des Mannes, der nach eigener Auskunft gemeinsam mit seiner Frau mit dem Büchersammeln einfach angefangen hat. Aber vielleicht ist gerade diese Zurückhaltung auch das Ethos des Mentors. Er lenkt gezielt die Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Aspekte, bewertet aber nicht die Entscheidungen seines Zöglings und hält sich mit eigenen Geschmacksbekundungen bewusst zurück. Genau wie dieses Buch.


von Jan Hillgärtner - 01. April 2012
Das Glück der Bücher
Wulf D. von Lucius
Das Glück der Bücher

Berlin University Press 2012
240 Seiten, gebunden
EAN 978-3862800315