https://www.rezensionen.ch/utopia/B00MNU9SSK/

Marc Munden: Utopia

Die alptraumhafte Verschwörung

"Janus instead of Genocide." "Utopia" war ursprünglich ein Roman des englischen Humanisten und Heiligen Thomas Morus und erschien erstmals 1516. Der griechische Ursprung des Wortes kann von zwei unterschiedlich geschriebenen aber gleich ausgesprochenen Worten "Outopia" (Οὐτοπεία) und "Eutopia" (Εὐτοπεία) kommen, übersetzt bedeutet ersteres "Nichtort" und zweiteres "glücklicher Ort". In der englischen Serie wird "Utopia" vorläufig mit der Graphic Novel "The Utopia Experiment" gleichgesetzt, wodurch sich die vier Protagonisten des Films auf einem Internetportal kennenlernen. Als sie sich endlich persönlich treffen, verfolgt sie der unheimliche Killer Arby (Neil Maskell), der einerseits emotional und psychisch zurückgeblieben, andererseits genau deswegen auch eine perfekte Killermaschine ist. Seine Frage lautet bis an den Beginn der zweiten Staffel immerfort: "Wo ist Jessica Hyde?"

Alice in Utopia

"Glauben Sie, ich bin gerne zu Mr. Rabbit geworden?", herrscht derselbe den einäugigen Verschwörungstheoretiker Wilson an. Der Zuseher erfährt es natürlich erst nach und nach und auch ich werde es hier nicht verraten, wer dieser geheimnisvolle Mr. Rabbit wirklich ist, dafür kann jetzt schon verraten werden, dass die Protagonisten von Utopia mit sehr viel Detailliebe gezeichnet werden. Die ehemalige Medizinstudentin Becky (Alexandra Roach), die durch ihre Krankheit Dell von Thoraxin und einem alten Knacker abhängig ist, der gelangweilte Bürohengst Ian (Nathan Stewart-Jarrett), der immer mit seinem Chef streitet, der Verschwörungstheoretiker Wilson Wilson (Adeel Akhtar), der ein Auge verliert oder der elfjährige Alkoholiker Grant (Oliver Woollford) passen perfekt zusammen, bis plötzlich bei Ihnen die gesuchte Jessica Hyde (Fiona O’Shaughnessy) auftaucht und alles durcheinanderwirft. Auch ein kleines Mädchen namens Alice spielt eine wichtige Rolle und seinen Dostojewski hat Munden auch gelesen

"Design your future with Utopia!"

Die Serie spielt ohnehin schon in einem eher apokalyptischen Setting, die Farben sind bunt wie Kaugummis, schrill sind die Serienmörder und Folterer und sehr großzügig wird mit dem Knalleffekt roten Blutes umgegangen. "Utopia" mutet durch die Farbwahl, das Design und die Choreographie der Architektur und Personen in diesem außergewöhnlichen Setting teilweise geradezu surrealistisch und absurd an, zieht einen dann aber durch die vielversprechende Verschwörungstheorie immer tiefer in sein "realm". Ein mysteriöses Pharmaunternehmen hat bereits alle staatlichen Behörden unterwandert und versucht, einen Impfstoff unter die Leute zu bringen, der angeblich gegen die russische Grippe helfen soll. Doch das Netzwerk, das hinter dieser angeblichen russischen Grippe steckt, hat in Wirklichkeit ganz andere Pläne mit dem Impfstoff. Schließlich ist der beste Weg, eine Verschwörung zu verschleiern, es als eine Verschwörungstheorie auszugeben.

"Press the button, Wilson!"

"There’s future coming where billions of us are going to be born in poverty and we are going to murder each other in wars for food, oil and water. That’s coming. The Network is the enemy. But what, if the enemy is right?", sagt Wilson an einer Stelle. "Utopia" kam auch international so gut an, dass sich ein amerikanisches Remake des Stoffes bereits in Planung befindet und noch dazu unter der Regie des US-Filmemachers David Fincher ("Fight Club", "The Social Network"), der bereits an seiner Interpretation der britischen Channel 4 Serie "Utopia" für den amerikanischen Sender HBO ("Game of Thrones") arbeitet. In England wurde bereits die dritte und vierte Staffel von Schöpfer Dennis Kelly ("Pulling") an den Start gebracht. In der zweiten Staffel wurden einzelne Ereignisse aus der realen Welt in die Serie eingearbeitet, um für mehr Authentizität zu sorgen. So wird u. a. auf die terroristischen Anschläge gegen Aldo Moro, Carmine Pecorelli, Richard Sykes, und Airey Neave eingegangen und die TWA Flight 841 Katastrophe erwähnt. Auch die Atomkatastrophe von Fukushima und das Ende der Labour Regierung werden in die zweite Staffel eingebaut oder die Inthronisierung einer gewissen Margret Hilda Thatcher, die man versucht ist ebenfalls einer Verschwörungstheorie zuzuschreiben, wird mit Archivmaterial genüsslich zitiert.

"Madness, Murder, Mayhem"

Die verblüffende Gleichgültigkeit, mit der in Utopia mit Gewalt umgegangen wird und wie sie gezeigt wird, hat der Serie einigen Protest eingebracht, dennoch aber waren viele Kritiker ob der visuellen Stärke des Settings und der Fantasie begeistert. Auch eine alte Wunde wurde wieder aufgerissen: die Ermordung von Airey Neave, einem konservativen Abgeordneten der von der Irisch National Liberation Army 1979 regelrecht hingerichtet wurde. Außerdem wird herrlich politisch unkorrekt vom Leder gezogen und eine extra nette (anti-)rassistische Pointe am Ende geliefert, natürlich alles mit der dazugehörigen Portion schwarzen englischen Humors: ganz schön janusgesichtig. Das Bonusmaterial enthält unter anderem Kommentare vom Drehbuchautor, Regisseur und Produzenten zur ersten Episode sowie mehrere Featurettes und gelöschte Szenen.


von Juergen Weber - 15. November 2016
Utopia
Marc Munden (Regie)
Utopia

Staffel 1 & 2
Polyband 2016
Laufzeit: 316 Min. (+ 48 Min. Bonusmaterial)
EAN 4006448763367
Deutsch + Englisch