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magnum manifesto

Welt im Bild

Ein Gefühl von "einer Mischung aus Euphorie und Schwindel" dürfte den Herausgeber Clement Cheroux in Borges’scher Manie beim Stöbern im Magnum-Archiv befallen haben. Das Archiv birgt wahrscheinlich sämtliche Geschichten der Welt seit der Gründung der Kooperative im Jahre 1947, große weltbewegende Ereignisse ebenso wie alltägliche Taten und Fakten, so Cheroux. Und wer in einem Archiv tief genug gräbt, der wird auch immer wieder auf Dinge stoßen, die man irgendwo schon einmal gesehen hat und die längst zum kulturellen Schatz der Menschheit gehören, an dem sich jeder gerne labt.

Generation X Jahrgang 51

Ein solches Beispiel könnte auch der Name "Generation X" sein, der mitnichten von Douglas Coupland Anfang der Neunziger für seinen gleichnamigen Roman erfunden wurde. Nein, es gab die Bezeichnung schon sehr viel früher. Wer hätte das gedacht! Im Jahre 1951 (!) hatten elf Magnum-Fotografen ein internationales Gruppenunternehmen gestartet, das eine neue Generation porträtieren sollte: die Generation X, junge Männer und Frauen, die gerade 20 geworden waren und das in 14 verschiedenen Ländern. Die mehrteilige Reportageserie wurde in etlichen Magazinen in den USA, Italien, Frankreich und England veröffentlicht, aber auch in der Schweizer Zeitschrift "Du", die 1951 sogar den Titel "Generation X" auf ihrem Cover trug. Das Verbindende dieser Generation: sie wuchsen in einer Zeit des Friedens auf und verkörperten die Hoffnungen der Nachkriegsgeneration.

Welt in der Krise im Bild

Ein weiteres Kapitel in diesem Fotografie-Prachtband des Schirmer/Mosel-Verlages trägt den Titel "America in Crisis", darin werden etwa die beiden Witwen Coretta Scott King und Jacqueline Kennedy in Trauer porträtiert. Die beiden Frauen einte ein gemeinsames Schicksal: sie hatten beide ihre Ehemänner durch einen Mordanschlag verloren. Aber auch das bekannte Foto der Black Panthers auf einem verschneiten Verladebahnhof in Chicago wird in vorliegendem Fotoband hervorgehoben. Das Foto stammt von Hiroji Kubota und trägt den Titel "Die Black Panthers, Chicago, Illinois, USA, 1969". Eine beklemmende Fotoserie von Jim Goldberg zeigt die Prostituierte und Drogenabhängige T.J., die ihre Fotos mit eigenen Worten kommentierte. Auf einem steht: "I keep thinking where we went wrong. We have no one to talk to now, however I will not allow this loneliness to destroy me, - I STILL HAVE MY DREAMS. I would like an elegant home, a loving husband and the wealth I am used to". (sic, JW) Ein seltsames Manifest der Hoffnungslosigkeit, das durch die Fotos von Golderg konterkariert wird.

Endzeitgeschichten der Hoffnung?

Auch ein Foto von Susan Meiselas ist zu sehen: Nicaragua, Pantheon Books, New York, 1981. Auf dem Bild zu sehen sind die Barrikaden der Sandinistas, die ihre bunten Masken tragen, wie man sie auch aus dem Film "Under Fire" (1983) mit Nick Nolte kennt. In den Achtzigern verkörperten sie die Hoffnung auf ein gerechtes Mittel- und Südamerika, das nicht von Militärdiktaturen zerrüttet wäre. Ein weiteres Kapitel von Magnum Manifesto lautet "Endzeitgeschichten" und zeigt Fotos von 1990-2017, darunter auch die kolorierte Porträtfotoserie von Taliban, die Thomas Dworzak 2002 veröffentlichte.


von Juergen Weber - 15. Juli 2017
magnum manifesto
Clement Cheroux (Hrsg.)
Saskia Bontjes van Beek (Übersetzung)
magnum manifesto

Schirmer/Mosel 2017
Originalsprache: Englisch
416 Seiten, gebunden
EAN 978-3829607896