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Harald Lesch, Jörn Müller: Kosmologie für helle Köpfe

Eigentlich wissen wir nichts

"Das Universum ist eben so, wie es ist, und wir haben uns damit abzufinden." (S. 118)

Zwei Autoren haben das Buch "Kosmologie für helle Köpfe" geschrieben: Harald Lesch den ersten Teil über die Dunkle Materie und Jörn Müller den zweiten, der die Dunkle Energie zum Thema hat. Gerade dieses Konzept macht das Buch zusätzlich interessant, da sich die beiden Autoren aufgrund des unterschiedlichen Stils gut ergänzen. Wird daher zum Beispiel ein grundlegendes kosmologisches Modell, wie die Krümmung des Universums, zweimal beschrieben, so langweilt dies nicht, sondern erleichtert das Verständnis, weil es auf unterschiedliche Weise erklärt wird.

Ist die im großen Ganzen rein narrative Darstellung physikalischer oder mathematischen Zusammenhänge bekanntermaßen Harald Leschs große Stärke, so bildet dagegen bei Jörn Müller der mathematische Hintergrund den roten Faden seiner Erläuterungen. Er leitet auch einige Parameter ab, aber die Information ist dadurch fundierter und verschafft gleichzeitig einen interessanten Einblick in den aktuellen Stand der kosmologischen Forschung.

Im Anhang sind zwei wichtige Berechnungsmodi erläutert. Als Erstes wird gezeigt, wie die Helligkeit von Sternen umgerechnet und damit vergleichbar wird, und anschließend werden die Friedmann-Gleichungen dargestellt, die die Basis für die Berechnung der zeitlichen Entwicklung der Größe des Universums und vergleichbarer Parameter darstellen. Außerdem verfügt das Buch über ein Register und ein Literaturverzeichnis. Leider fehlt ein - für ein populärwissenschaftliches Buch sicherlich sinnvolles - Glossar der verwendeten kosmologischen oder physikalischen Grundbegriffe.

"Alles, was wir über das Universum wissen, wurde über das Licht - oder besser gesagt über die Strahlung - in Erfahrung gebracht, das die Objekte aussenden." (S. 24)

Glaubte man noch vor etwa zwei Jahrzehnten, das Universum bestehe vornehmlich aus Materie, so herrscht heute die Überzeugung vor, dass die Materie nur rund 30% des Energiehaushaltes ausmacht. Da Untersuchungen ergeben haben, dass das Universum flach ist, müssten die restlichen 70% dunkle Energie sein, eine unbekannte Form von Energie, die das Universum beschleunigt expandieren lässt. Direkt sehen kann man von all dem nur die 0,4% leuchtende Materie.

Materie, die keine wie auch immer geartete Strahlung emittiert, bezeichnet man als dunkle Materie. An der baryonischen Dunklen Materie haben Schwarze Löcher, Rote Zwerge, Braune, Weiße und Schwarze Zwerge, dunkle Galaxien und Neutronensterne einen beträchtlichen Anteil. Allerdings besteht nach wie vor eine Diskrepanz zwischen dem, was man erwartet, und dem, was man findet.

Die so genannte nichtbaryonische Dunkle Materie macht sich nur durch Gravitation bemerkbar und ist ansonsten völlig unbekannt. Möglicherweise wird sie zu etwa acht Prozent durch Neutrinos gestellt. Für den überwiegenden Rest der nichtbaryonischen Dunklen Materie wurden so genannte SUSY-Teilchen und Axionen postuliert. Zusammenfassen betrachtet ist allerdings nach wie vor unklar, "woraus sich die Materie zusammensetzen müsste, damit Theorie und Beobachtung übereinstimmen".(S. 78)

Die Dunkle Energie bleibt im wahrsten Sinn des Wortes im Dunkeln, denn zu sehen ist davon nichts. Von welcher Art diese Energie ist, ist völlig rätselhaft. Die Dunkle Energie hat den Charakter einer "Antigravitation", also einer Kraft, die das Universum auseinander treibt. Als Energieform für diese Kraft wird die Vakuumenergie postuliert. Im Vakuum bilden sich fortwährend Teilchen-Antiteilchen-Paare, die nach extrem kurzer Zeit wieder zerfallen. Die Energie, die zur Erzeugung der Paare benötigt wird, leihen sich die Teilchen kurzfristig von der Vakuumenergie und geben sie beim Zerstrahlen wieder zurück. Das Vakuum ist also nicht leer, sondern strotzt geradezu vor Energie. Die Energiedichte des Vakuums könnte damit für die Energiedichte der Dunklen Energie stehen. Da die Vakuumenergiedichte konstant ist, muss die Vakuumenergie zunehmen, wenn sich das Volumen vergrößert, damit sich die Energiedichte nicht ändert. Im Gegensatz zur Materie, die aufgrund der Gravitation stets zu gebremster Expansion führt, treibt die Vakuumenergie das Universum auseinander und bewirkt eine beschleunigte Expansion. "Die Entwicklung des Universums hängt also davon ab, ob die Strahlung, die Materie oder die Dunkle Energie dominiert." (S. 189)

Leider hat diese Hypothese auch Widersprüche. Zum Beispiel deckt sich die im Universum gemessene Energiedichte der Dunklen Energie nicht im Entferntesten mit der berechneten Energiedichte des Vakuumzustandes. Letztere ist um das 10120-fache zu groß!

"Denn eigentlich wissen wir nicht einmal, was Sein ist, und sobald wir uns ins Definieren einlassen, so müssen wir zugeben, dass etwas existieren kann, was nirgends ist. Kant sagt auch so was irgendwo." (Georg Christoph Lichtenberg, Physiker; 18.Jh)


von Paul Dinger - 11. Februar 2008
Kosmologie für helle Köpfe
Harald Lesch
Jörn Müller
Kosmologie für helle Köpfe

Die dunklen Seiten des Universums
Goldmann 2006
192 Seiten, broschiert
EAN 978-3442153824