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Kaveh Golestan: Recording the Truth in Iran 1950-2003

Fotografien aus dem Widerstand

Als Kaveh Golestan am 2. April 2003 auf die trügerisch grüne Frühlingswiese im Nordirak trat, setzte er seinen Fuß auf eine Landmine. Er starb noch am Unglücksort. Der dritte Golfkrieg war zu diesem Zeitpunkt noch keine zwei Wochen alt und Golestan seit 59 Tagen im Land. Er war nicht, wie viele seiner westlichen Kollegen, bei den alliierten Truppen "eingebettet" (sog. embedded journalists), sondern bewegte sich mit seinem Team auf eigene Faust. Eben diese Unabhängigkeit war es, die es ihm ermöglichte, noch wenige Tage vor seinem Tod einzigartige Aufnahmen zu machen. So filmte er die Spannungen zwischen den kurdischen und türkischen Truppen im irakischen Grenzgebiet und drehte im kurdischen Halabdscha, wo 1988 Tausende Kurden bei den Giftgasangriffen der irakischen Armee ums Leben kamen. Die Gefahr, in einem Kriegsgebiet zu arbeiten, sei allen bewusst gewesen. "Die einzige Möglichkeit, ihr aus dem Weg zu gehen, ist nicht dort zu sein.", so sein langjähriger Freund und Begleiter Jim Muir. Doch das kam für Kaveh Golestan nicht in Frage. Dem Drama, das Menschen in Krisenzeiten ereilt, galt schon immer seine besondere Aufmerksamkeit.

Kaveh Golestan mischte sich mit seinen Fotografien ein und bezog - auch im politischen Sinne - Position. Das amerikanische Time-Magazine veröffentlichte seine Bilder daher lange Zeit nur anonym, um seine Identität im Iran zu schützen. 1979 erhielt Golestan für seine Foto-Reportage über die Islamische Revolution die Robert Capa Gold Medal, die er jedoch erst dreizehn Jahre später entgegen nehmen konnte. Die iranischen Autoritäten hatten seine Bilder erst zu diesem Zeitpunkt als nicht länger regierungsfeindlich angesehen. Sein Menschenverstand hat ihn zum politischen Widerständler werden lassen. Die Time-Journalistin Azadeh Moaveni schrieb über ihn: "Mit seiner unübertroffenen Begeisterung, in die dunkelsten Ecken Irans zu schauen, brachte er mir und den anderen iranischen Journalisten und Fotografen meiner Generation bei, dass Widerstand eine Kunst sein kann und Kunst Widerstand."

Obwohl er schon seit Anfang der neunziger Jahre nicht mehr als Fotograf gearbeitet hatte, betrachtete er sich bis zuletzt als ein solcher. "Ich bin ein Kriegsfotograf" vertraute er Jim Muir noch am letzten Tag seines Lebens an. Doch Muir kann dem nur partiell zustimmen. Die gemeinsame Arbeit habe immer von Golestans fotografischem Auge und seinem Gefühl für entscheidende Details profitiert - insofern sei er immer Fotograf geblieben. Doch die Vielfältigkeit seiner Arbeit, die neben der Politik auch nie die Gesellschaft sowie deren Kultur und Lebensstil aus dem Auge verlor, zeige deutlich, dass er weit mehr als nur ein Kriegsfotograf gewesen sei, so Muir in seinem Beiwort zum Bildband.

Nachdem es Kaveh Golestan 1972 für seine erste Fotoreportage nach Nordirland verschlagen hatte, reiste er über den Globus, um weltweit Kinder für iranische Schulbücher abzulichten. 1975 fotografierte er iranische Kinder und begegnete Menschen aus allen Bevölkerungs- und Gesellschaftsschichten. Er begann, das Leben der Menschen in seinem Land zu dokumentieren. In seinen Bildern spiegelte sich schließlich die bodenlose Ungleichheit und Ungerechtigkeit in seinem Land wider. 1977 begann er, Fotokopien seiner Aufnahmen von Arbeitern, Prostituierten und geistig behinderten Kindern in Straßen und an Hauswänden in Teheran auszuhängen. Golestan fotografierte immer mit einem besonderen Auge für das menschliche Leid.

Seit jeher zeugen seine Fotografien von Schrecken, Grauen und Gewalt, wie sie sich Menschen in all ihren offensichtlichen und subversiven Erscheinungsformen antun können. Seine Bilder dokumentieren das Drama des alltäglichen innergesellschaftlichen Kampfes im Iran. Die menschlichen Tragödien, welche Krieg, Unterdrückung und Armut mit sich bringen, standen immer im Vordergrund seiner journalistischen Tätigkeit. Im Iran dauern diese Schicksalsschläge bis heute an.

In einem Interview sagte Golestan: "Diese Augen - meine Augen - sind Zeugen der alltäglichen Härte in meinem Land gewesen. Meine Kamera hält die Wahrheit fest." Und die Wahrheit ist eine bittere: Kaveh Golestan hat dokumentiert, wie Polizisten die gegen den Schah protestierenden Studenten in Teheran niederschossen und Trauernde später Nelken auf die blutigen Spuren der Kämpfe legten. Er war bei der Rückkehr Ayatollah Khomeinis zugegen und hielt die jubelnden Massen fest. Er fotografierte die verbrannten und mumifizierten Leichen auf den Schlachtfeldern des Iran-Irakischen Kriegs, die Verletzten und die Verängstigten. Die erschreckenden Fotografien, die er in dieser Zeit aufnahm, finden sich in dem vorliegenden Bildband.

Unter die Haut gehen jedoch gerade jene Bilder, die die tatsächlichen Lebensumstände im Iran widerspiegeln und dabei die alltäglichen, zwischenmenschlichen Grausamkeiten offenbaren. Sie erzählen von den unmenschlichen Zuständen, unter denen die Prostituierten in der Teheraner Zitadelle Shar-e No oder die geistig behinderten Kinder in der Teheraner Klinik Shahr-e Ray leben mussten. "Die sozialen, finanziellen, hygienischen, verhaltensorientierten und psychologischen Probleme", die im iranischen Alltag existierten, waren an diesen Orten komprimiert in Erscheinung getreten, so Kaveh Golestan in einem Kommentar zu den Bildern. Andere Fotografien dokumentieren die unwürdigen Lebensverhältnisse der einfachen Arbeiter, die ihre Dörfer verlassen hatten und in Bauruinen lebten, um in der Stadt etwas Geld zu verdienen. Sie berichten von Fällen der Kinderarbeit, die sich im vorrevolutionären Iran immer stärker ausbreitete.

Die in dem Bildband "Recording the Truth in Iran" versammelten Fotografien sowie die englischsprachigen Bildkommentare Golestans beweisen deutlich, dass es in den zurückliegenden 40 Jahren keinen Zeitpunkt gegeben hat, in dem den Regierenden in der Region das Wohl der Menschen am Herzen gelegen hätte. Der französische Fotograf Maurice Chauvel, der selbst in vielen Krisengebieten gearbeitet hat, schreibt in seinen Memoiren: "Nur Zuzusehen heißt, verantwortlich zu sein!" Golestan tat alles andere als nur zuzusehen. Ihm war nicht die Dickhäutigkeit und Abgebrühtheit eigen, die man gemeinhin einem Kriegsfotografen zuschreiben würde. Seine Arbeit zeugt ganz im Gegenteil von Sensitivität und Einfühlungsvermögen. Diese Empathie war es wohl, die seine Hände am Objektiv und Auslöser geführt hat.


von Thomas Hummitzsch - 10. Juni 2008
Kaveh Golestan: Recording the Truth in Iran 1950-2003
Hengameh Golestan (Hrsg.)
Malu Halasa (Hrsg.)
Kaveh Golestan: Recording the Truth in Iran 1950-2003

Hatje Cantz 2007
128 Seiten, gebunden
EAN 978-3775720458