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Dennis Lehane: In der Nacht

Von Ru(h)m und Liebe

"Aber wir, wir leben in der Nacht. Sie zahlen für das, was uns gehört. Und wenn sie in unseren Sandkasten kommen, verdienen wir an jedem einzelnen Sandkorn." In der Welt des Gangsters - oder sollte man besser Gesetzlosen sagen - Joseph "Joe" Coughlin zählt nur der Profit und dafür geht er auch über Leichen. Aber bald könnte es auch seine sein, denn zu Beginn des atemberaubenden Gangsterepos von Dennis Lehane steckt Joe in Zementstiefeln und seine alten Feinde, Albert White und Maso Pescatore stecken ihn (bald) in den Sack. Mit White verbindet ihn seine Liebe zu Emma Gould, die er bei einem "Casino-Job" kennengelernt hat: sie reichte ihm die Chips rüber, während er mit ihr flirtete. Nur dumm, dass es kein einfaches Casino war, sondern das von Albert White, mit dem Emma eine Liaison hat. Das einzige, was Joe noch aus seiner brenzligen Situation retten kann, ist: sein Vater. Der ist nämlich Polizeichef von Boston und gibt weder auf seinen Sohn noch auf die anderen Gangster besonders viel.

Prohibition und Alligatoren

Durch die Prohibition spült es Joseph "Joe" Coughlin nach oben und trotz des Verlustes seiner großen Liebe schafft er es nach seinem Gefängnisaufenthalt wieder Fuß zu Fassen, ausgerechnet in Tampa, Florida, wo nicht nur Alligatoren einem nach den Beinen schnappen. Die sprichwörtliche "Universität der Ganoven", das Gefängnis, hat ihn mit den Leuten vertraut gemacht, die er für seinen Aufstieg braucht. Aber anders als die anderen Gangster hat Joe ein Gewissen, denn er sieht sich als Gesetzloser, der in der Nacht ("Live by Night") lebt und sich seine eigenen Gesetze macht. So lernt er auch Graciela kennen, die mit dem von ihm dreckig verdienten Geld saubere Geschäfte macht. Sie investiert in Krankenhäuser und Kinderheime und hat eine revolutionäre Ader, die bis nach Kuba reicht. Durch die Prohibition in den USA wich die Unterwelt auf die vor der Haustür gelegene Karibikinsel aus, wo ihnen ein williger Diktator Investitionen in das Glücksspiel erleichterte.

Ku Klux Klan und Seelenfriede

Doch dann geschieht das Unglaubliche: Die Prohibition wird Geschichte. "Sie wurde ins Leben gerufen, um die Armen an der Kandare zu halten und die Mittelklasse zur Arbeit anzuhalten, aber stattdessen hat sie die Mittelklasse nur auf den Geschmack gebracht. In den letzten zehn Jahren ist mehr Alkohol durch amerikanische Kehlen geflossen, als je zuvor, und zwar deshalb, weil die Leute es so wollten und keine Lust hatten, es sich verbieten zu lassen.", schreibt Lehane. Als der Ku Klux Klan und eine religiöse Fanatikerin - eine born again Christian - beginnt, seinen Geschäften Probleme zu machen und von demselben schwarzen Panther spricht, den er in seinen Albträumen sieht, wird des eng für Joseph "Joe" Coughlin, denn Männer mit einem Gewissen kann das organisierte Verbrechen nicht brauchen. Aber wenn es ihm gelingen würde, Lucky Luciano in New York von sich zu überzeugen, könnte sich das Blatt vielleicht noch einmal für ihn und Graciela wenden?

"Live by Night" ist ein packender Krimi, der immer wieder mit neuen ausweglosen Situationen und unvorhersehbaren Plot Twists überrascht und so die Ereignisse voranpeitscht. Eine gelungene Geschichte über eine verlorene Liebe, die einen (fast) das Leben kosten kann.


von Juergen Weber - 28. Mai 2017
In der Nacht
Dennis Lehane
Sky Nonhoff (Übersetzung)
In der Nacht

Diogenes 2017
592 Seiten, gebunden
EAN 978-3257068726