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Johannes Hürter: Hitlers Heerführer

Die braven Generälen im Krieg gegen die Sowjetunion

Zugegeben: Der Titel "Hitlers Heerführer" klingt wie eine neue mehrteilige Serie des ZDF-Zeitgeschichtsbeauftragten Guido Knopp. Hinter diesem, vielleicht ein wenig zu plakativem Titel, steckt jedoch eine großartige wissenschaftliche Leistung. Johannes Hürter, Historiker am Institut für Zeitgeschichte München, hat mit seiner in Mainz eingereichten Habilitationsschrift im Rahmen des Projektes "Die Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur" (1998 vom Institut für Zeitgeschichte begründet) erstmals alle Mitglieder der obersten Generalität, d.h. die Oberbefehlshaber der drei Heeresgruppen (Süd, Mitte, Ost) untersucht.

Als Untersuchungszeitraum wählte Hürter das erste Jahr des Ostkriegs, das als wichtigste Phase "der deutschen Kriegführung in der Sowjetunion" (S. 16) bezeichnet werden kann. Bevor jedoch auf den Ostfeldzug eingegangen wird, erfolgt auf den ersten 200 Seiten die Analyse der Lebenswege aller 25 Generäle. Allesamt im Kaiserreich sozialisiert, sollen die Darstellungen der Lebensstationen als Folie für das spätere Verhalten der Generäle im "Unternehmen Barbarossa" dienen. Nach dieser etwas zu ausführlichen Schilderung folgt der eigentliche Hauptteil der Studie, die Untersuchung des Ostfeldzuges. Hürter fragt nach dem Umgang der Generalität mit gegnerischen Soldaten, der Zivilbevölkerung und Partisanen. Ein wichtiger Abschnitt stellt vor allem die Einstellung der Oberbefehlshaber zum Mord an den Juden dar. Johannes Hürter kann überzeugend herausarbeiten, dass ausnahmslos alle Heerführer die verbrecherische Politik Hitlers hinnahmen, ohne sich zu widersetzen. Hatte es während des Polenfeldzuges noch einzelne Stimmen gegen die Politik Hitlers gegeben, nahmen die Generäle mit Verlauf des Krieges die zunehmend verbrecherische Politik ausnahmslos hin. Kommissare wurden erschossen, der Judenmord geduldet und die Zivilbevölkerung grausam behandelt. Dass die Sicherung der rückwärtigen Heeresgebiete in die Hände der SS übergeben wurde, zeigt zudem die Machtlosigkeit der Generäle. Zu Recht hat Alexander Brakel in seiner Rezension diese Prozesse als "Entmachtung und Selbstentmachtung" bezeichnet. Die Handlungen der Generalität im Vernichtungskrieg zeigt zudem den Grad der ideologischen Durchdringung mit nationalsozialistischer Propaganda: Im Kampf gegen die "asiatischen Horden" war jedes Mittel recht und sei es noch so grausam. Die Zivilbevölkerung bestand nach Auffassung der Generäle aus Primaten, die eine harte Behandlung verdient hätten. Es ist auffällig, wie sehr die Generäle Marionetten Hitlers gewesen sind. Niemand widersprach ihm, keiner handelte gegen seine Befehle. Ein gutes Beispiel ist der neue Angriffsplan vom Oktober 1941 den Generalstabschef Franz Halder den Oberbefehlshabern vorlegte. Es war jedem Anwesenden klar, dass die völlig erschöpften deutschen Truppen dieser Aufgabe nicht gewachsen sein würden und eine leichte Beute für den Gegner darstellten. Dennoch regte sich, wider besseres Wissen, kein Widerstand, nicht einmal ein zaghaftes Zweifeln an den Plänen Hitlers. Als sich dann die militärische Lage für die deutsche Wehrmacht zunehmend verschlechterte, mischte sich Hitler immer mehr in militärische Angelegenheiten ein.

Johannes Hürter hat eine beeindruckende Studie vorgelegt. Aufgrund der breiten Quellenbasis gelang es Hürter erstmals umfassend die Handlungsspielräume und Vorgänge innerhalb der Generalität zu analysieren. Eine so solide recherchierte und exakt geschriebene Grundlagenstudie ist nicht die Regel. Man wünscht diesem Werk viele Leser.


von Benjamin Obermüller - 26. Dezember 2006
Hitlers Heerführer
Johannes Hürter
Hitlers Heerführer

Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42
De Gruyter Oldenbourg 2006
726 Seiten, gebunden
EAN 978-3486579826