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Leon de Winter: Geronimo

Der Preis der Freiheit

"Ich hätte sie beschützen müssen. Das habe ich nicht getan. Ich habe versagt. Das wollte ich wiedergutmachen. Deshalb habe ich mich auf die Suche nach ihr gemacht.", meint Tom Johnson, der Protagonist und das gute Gewissen in Leon de Winters neuestem Roman. "Geronimo" handelt vordergründig von Osama bin Ladens letzten Tagen, ist aber vor allem auch eine Liebesgeschichte über Jabbar und Apana und das Verantwortungsgefühl des CIA-Special Agents Tom Johnson. Tom hat seine eigene Tochter bei den Terroranschlägen in Madrid vom 11. März verloren. Seine Frau Vera war an diesem Tag in einem der Züge und ihr gemeinsames Baby Sarah erlitt dabei schwere Verletzungen, an denen sie ein Jahr später verstarb. An seinem Einsatzort in Pakistan nimmt er das von Taliban verunstaltete Mädchen Apana bei sich auf und spielt ihr die Goldberg-Variationen von Glenn Gould vor. Apana möchte daraufhin selbst Klavierspielerin werden und als sie in die Hände der Taliban fällt, hacken ihr diese die Hände und Ohren ab, weil sie teuflische Musik - Bach - hörte. Geschickt verkettet Leon de Winter das Schicksal des jungen Jabbar mit jenem von Apana und Tom und so entsteht eine spannende Geschichte über Liebe, Verantwortung und schlechtes Gewissen.

Warum eigentlich "kill "or capture"

"Geronimo" war das Codewort des Seals-Team 6 für Osama bin Laden, für die einen ein Terrorist, für die anderen ein Heiliger. Seine letzten Tage verbrachte der von Leon de Winter kurz "Ubl" genannte Anführer der al-Quaida in Abbottabad in Pakistan in einem befestigten Haus. Nur nachts traute er sich dort auf die Straße raus und fuhr mit einem Moped Einkäufe für seine drei Frauen machen, schreibt Leon de Winter, und der Wunsch seiner jüngsten Frau nach Vanilleeis wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Dabei hatte er den amerikanischen Präsidenten schon fast bei den Eiern, denn Fotos auf einem ihm zugespielten USB-Stick zeigten diesen beim Beten wie ein Muslim. Die Veröffentlichung dieser Bilder hätten seinen größten Sieg bedeutet, doch dann kommt doch noch etwas dazwischen. Leon de Winter erzählt eine packende Geschichte, davon, wie es hätte sein können, wenn Ubl durch einen Doppelgänger ausgetauscht und seine Entführung geklappt hätte. Denn was Leon de Winter und Tom Johnson am meisten beschäftigt, ist die Frage, warum der tatsächliche Auftrag für Geronimo "kill or capture" und nicht nur "capture" gelautet hatte.

Liebe zwischen den Fronten

Ein Küchenhocker von Ubl spielt in Leon de Winters fiktivem Roman eine nicht zu unterschätzende Rolle und zeigt seine Erzählkunst von der besten Seite, denn er schafft es, Dinge die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, auf meisterliche Art zu verknüpfen und glaubwürdig rüberzubringen. Dass sich in der zweiten Hälfte des Romans dann noch der israelische und saudische Geheimdienst in die Geschichte einbringen, mag zwar etwas übertrieben erscheinen, aber macht aus "Geronimo" nichtsdestotrotz eine tolle Agentengeschichte, die vor allem auch das Elend der Bevölkerung Pakistans und Afghanistans thematisiert. Der fromme Kinderwunsch Jabbars und Apanas, die Freiheit Amerikas durch Auswanderung genießen zu dürfen, wirkt zwar sehr ideologisch, aber ganz unglaubwürdig ist auch das nicht, wenn man an die Strapazen der beiden denkt. Und für die private Beziehung zwischen Vera und Tom hat Leon de Winter noch eine gute Schlusspointe vorbereitet, die den Leser tief in seinen Sessel hineindrückt. Solange Tom Apana sucht, lebt sie in seinen Gedanken weiter.


von Juergen Weber - 27. April 2017
Geronimo
Leon de Winter
Hanni Ehlers (Übersetzung)
Geronimo

Diogenes 2016
Originalsprache: Niederländisch
448 Seiten, gebunden
EAN 978-3257069716