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Joachim Gauck: Freiheit

Gauck'sche Freiheit

Joachim Gauck, der vor kurzem nicht vom Volk gewählte aktuelle Präsident der Bundesrepublik Deutschland, hat in der Vergangenheit geschrieben. Das machen leider nicht wenige halbintellektuelle sogenannte Promis. Die Ergebnisse, welche jener Personenkreis hervorzubringen vermag, sind selten als positiv bewertbar. So ist das auch beim Büchlein "Freiheit" des Herrn Pfarrers a.D.

Werte Exzellenz - oder wie der neue oberste Grüßaugust Deutschlands auch immer angesprochen werden muss - ist, und da unterscheide ich mich von den Annahmen gewisser Politprominenz, kein Aufklärer, kein Progressiver, kein Mensch mit positiv zu wertenden Visionen. Geht man nicht alleine nach seinen Äußerungen in der zu besprechenden Schrift, spricht vieles für einen verschleierten Nationalisten. Es liegt der Verdacht nahe, er sei ein - nein, nicht Wulff - sondern Wolf im momentan zu tragenden Schafspelz. Dem in der BRD erscheinenden neofaschistischen Schmierenblatt "Junge Freiheit" sollte wirklich keine Beachtung geschenkt werden, aber die Aussage "Wir sind Gauck" (26.02.2012) - analog zum seinerzeitigen Titel des deutschen Volksverblödungsorgans "BILD" "Wir sind Papst" - spricht gleichermaßen gegen diese Zeitung als auch den Präsidenten.

Kurz zur Vita Gaucks: Da war einst ein junger Mensch, der sich - beeinflusst durch die Verstrickungen weiter Teile seiner Familie im Nazi-Sumpf - in der Nachkriegszeit im östlichen Teil des befreiten Deutschlands zu einem extremen Antikommunisten und -sozialisten mauserte. Offensichtlich wurde dies von der regierenden SED geduldet - was wundert. Die Mutter, folgt man Berichten diverser Medien, war schon seit 1932 engagiertes Mitglied der NSDAP, der Vater, hauptamtlicher Funktionär der Nazi-Partei, erreichte im Zuge des von den Deutschen begonnenen Weltkrieges den Status eines Kapitäns zur See. In den 1950er Jahren verurteilten sowjetische Richter das Familienoberhaupt Gauck - nach aktuellen Pressemitteilungen als Folge der von ihm begangenen oder befohlenen Gefangenenerschießungen.

Nun, man kann ja eigentlich nichts für die Sünden seiner Familie. Folgen haben kann ein solcher verwandtschaftlicher Hintergrund, ohne sich tiefenpsychologisch alleine auf Freud stützen zu müssen, trotzdem. Dazu gehört auch der Onkel Gaucks, Gerhard Schmitt, evangelischer Pfarrer, ebenfalls überzeugter Nazi, der dem Joachim Gauck nach eigenen Angaben in Kindheit und Jugend als Vorbild diente. Vielleicht prägte doch die eine oder andere Erfahrung den heutigen Bundespräsidenten, vielleicht die politische Tätigkeit der Eltern, vielleicht die Verurteilung seines Vaters seitens der sowjetischen Justiz, vielleicht der (temporäre) Sieg des gehassten Sozialismus im kleineren Teil Deutschlands. Man steckt nicht drin, wie es floskelnutzend so schön heißt. Doch liest man unzählige Zitate von Gauck im Allgemeinen und seine Schrift "Freiheit" im Besonderen, so kommt Unbehagen auf.

Ach so: Der angebliche "DDR-Widerstandskämpfer" Joachim Gauck war bis zu den Ereignissen des Jahres 1989 offensichtlich ein recht angepasst lebender Bürger der DDR - sein Widerstand gegen den Sozialismus eher theoretisch als praktisch. Vielmehr wurde der nach der "Wende" als antikommunistischer Stasi-Hysteriker, Sozialismus-Hasser und Jäger ehemals "systemnaher" Menschen Bekanntewordene in der ostdeutschen Republik zeitweilig sogar durch das MfS (Ministerium für Staatssicherheit) gezielt bevorzugt behandelt. So durften seine Söhne problemlos in die BRD übersiedeln, er sie bei besagtem Anlass sogar per Sondergenehmigung in den Westen begleiten. Ferner war es seinen Söhnen erlaubt, nach deren Übersiedlung auch die Eltern in der DDR besuchen - was normalerweise unmöglich war. Wer hatte "drüben" schon solche Privilegien?

Von besagter Person erschien, wie bereits erwähnt, nunmehr - in 4. Auflage - die Schrift unter dem Schlaf- statt Schlagwort "Freiheit".
Der Freiheitsbegriff eines Herrn Gauck muss als recht eigenwillig gelten. Ein erster Punkt, der einem als historisch interessierten Leser direkt ins Auge fällt, ist folgendes Zitat: "Ich habe nichts gegen materielle Sicherheit … vor allem, wenn man darauf verzichten musste. (S. 5-6)" 'Ach was?' hätte Loriot an dieser Stelle vielleicht ausgerufen. Dem Verfasser dieser Zeilen war gar nicht bekannt, dass man - dürfte ich den Begriff der materiellen analog zu dem der sozialen Sicherheit verwenden - im so von Gauck gehassten Staat, die damalige Deutsche Demokratische Republik ist gemeint, soziale Sicherheit so klein geschrieben wurde. War das nicht der Kern, den genannte Republik für sich in Anspruch nahm? Mir erscheint es, dass vielmehr heute in der gesamtdeutschen BRD die vielen Menschen, die dank Schröders Agenda 2010 rasch vom Job zum sogenannten Hartz IV durchgereicht werden, recht wenig soziale Sicherheit auffinden können. Oder wie ist die steigende Zahl der Obdachlosen, der in ärmlichen Verhältnissen lebenden Kinder, verarmten Rentnerinnen und Rentner, in sozialer Angst lebenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verstehen?

Ferner: Es erklärt sich, dass der junge Gauck in faschistisch verstrickten Verhältnissen erwachsen zu werden hatte. Jenen Umstand kann man alleine daran festmachen, dass er nicht die Befreiung Deutschlands vom Faschismus zu seinen primären Freiheitsdaten zählt, sondern erst den sogenannten, vom Westen beeinflussten "Volksaufstand" am 17.06.1953 in der DDR oder die "Wende" im Jahr 1989. Kein Wort über den Tag der Befreiung, den 8. Mai 1945. Oder habe ich etwas überlesen?

Hinzu kommt der unsägliche Begriff der "Ermächtigung", auf den der Autor nach eigenen Worten nicht verzichten möchte, da er "auf dem deutschen Wort" (S. 38) bestehen zu müssen meint. Ermächtigung! Wem fällt zunächst nicht das "Ermächtigungsgesetz" ein, mit dem ganz eng die Machtübernahme der Nazibande verbunden war. Auch das ein Zufall? Auch das ist nicht als Zeichen zu sehen, dass Gauck politisch tendenziell rechts zu verorten ist?

Als ein weiterer Punkt, zu fragen, welcher Teufel die bundesrepublikanische sozialdemokratische Partei ritt, ausgerechnet benannte Person als Bundespräservativ vorzuschlagen, kann folgender herangezogen werden: Die Politik einer Abrüstung in den 1980er Jahren gegenüber den damaligen Staaten des Warschauer Vertrages, die von Kirchen, Gewerkschaften - also von einer breiten gesellschaftlichen Basis in der seinerzeitigen BRD - getragen wurde, beleidigt Gauck als eine "Fortführung einer Appeasement-Politik" (S. 45). Was bedeutet das übersetzt? Der sozialistische Teil Europas ist zu vergleichen mit dem Hitlerregime? Die Nazis waren, wenn überhaupt, nur ähnlich schlimm wie die Kommunisten?

Ach so, da war ja noch etwas. Der Herr Präsident meinte: "In diesem unserem Land herrscht seit über 60 Jahren Frieden (…) (S. 55)." Aha! In der BRD - da könnte man trotz Berufsverbote usw. großzügigerweise zustimmen! Während der Existenz der Deutschen Demokratischen Republik hieß selbiges jedoch auch, dass im Ausland keine schießwütigen Killer im Namen des Deutschen Volkes unterwegs waren - selbst nicht im Auftrag der BRD. Spätestens seit dem von einer SPD-Regierung geführten und als völkerrechtswidrig einzustufenden Luftkrieg gegen das seinerzeitige Jugoslawien geht von deutschem Boden wieder Krieg aus! Herr Gauck aber ignoriert dies - ein wahrlich passender Repräsentant des Zeitgeistes und dieser Republik.

Wer - und da lege ich mich an dieser Stelle fest - tendenziell reaktionäre Plattheiten zu lesen beabsichtigt, der greife zu. Wem dieses überteuerte Mini-Buch alleine mit Blick auf seinen Autor als blödsinnig zu erwerben erscheint - dieser Person sei gratuliert.


von Frank Lukaszewski - 05. April 2012
Freiheit
Joachim Gauck
Freiheit

Ein Plädoyer
Kösel 2012
64 Seiten, gebunden
EAN 978-3466370320