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Die Dresdner Bank im Dritten Reich

Ein williger Akteur

Seit Mitte der 1990er Jahre haben Firmen und Banken namhafte Historiker beauftragt ihre Geschichte während der 12 Jahre währenden nationalsozialistischen Herrschaft zu erforschen. Im Zuge der Entschädigung von Zwangsarbeitern in der deutschen Wirtschaft entstanden so in den letzten Jahren zahlreiche Studien. Nun liegt das bisher monumentalste unternehmenshistorische Werk vor. Auf über 2400 Seiten, aufgeteilt in vier Teilbände, wird die Verstrickung der Dresdner Bank im Dritten Reich umfassend analysiert. Noch 1997 hatte sich die Bank in ihrer Jubiläumsschrift dieser heiklen und besonders dunklen Phase der Unternehmenshistorie entzogen. Die NS-Zeit wurde fast vollständig ignoriert. Besonders pikant schien dabei die Argumentation seitens der Verantwortlichen der Dresdner Bank: mangelnde Firmenakten mussten als Begründung herhalten. Als dann plötzlich doch fast 12 km (!) Aktenmaterial in den Gebäuden der Bank auftauchten, musste die Verweigerungshaltung aufgegeben werden. In den nun vorliegenden vier Bänden analysieren die Autoren die "Arisierung", die expansionistische Raubpolitik sowie das Verhältnis von NSDAP und Dresdner Bank bzw. das strategische Vorgehen der Bank.

Im ersten Teilband verortet Johannes Bähr die Dresdner Bank in der Wirtschaft des Dritten Reichs. Die neun Hauptkapitel behandeln das gesamte unternehmensstrategische Spektrum der Bank, vom organisatorischen Aufbau über den Aufsichtsrat und Vorstand bis hin zu den Auslandsfilialen im Orient und der Südamerikanischen Bank. Besonderes Augenmerk ist auf die Beteiligung an der Rüstungsfinanzierung sowie das Verhältnis der Bank zur SS gerichtet. Ob die Dresdner Bank wirklich die "Hausbank der SS" war, wie oft behauptet, wird in diesem Band geklärt. Johannes Bähr und die Mitarbeiter des Bandes können überzeugend herausarbeiten, dass die Dresdner Bank kein williges Instrument des NS-Regimes oder aber von fanatischen Nationalsozialisten durchsetzt war. Ähnlich wie neue Forschungen zur Industriegeschichte in der NS-Zeit konstatieren, verfolgte auch die Dresdner Bank zwischen 1933 und 1945 zumeist privatwirtschaftliche Ziele. Obwohl die Dresdner Bank bis Ende des Jahres 1937 in öffentlicher Hand war, behielt sie weitgehend ihre Autonomie. Lediglich die Personalpolitik wurde maßgeblich von den Nationalsozialisten bestimmt. Johannes Bähr kann ebenso deutlich belegen, dass es innerhalb der Dresdner Bank zu zahlreichen Machtspielchen und damit Konflikten kam. Der Aufsichtsratsvorsitzende Carl Goetz war nicht selten Stein des Anstoßes. Seine konservative Haltung stieß in den Führungsgremien der Bank nicht immer auf ungeteilte Zustimmung.

Die Dresdner Bank war, das kann als Ergebnis des Bandes von Bähr festgehalten werden, ein williger Akteur im NS-Regime. Gegenüber der Deutschen Bank war sie dem Regime um einiges näher, wusste jedoch daraus keine Vorteile zu ziehen. Die betriebswirtschaftliche Rationalität mit der die Bank agierte, ließ sie größtenteils blind gegenüber den Verbrechen des Regimes werden, die den führenden Mitarbeitern schon frühzeitig bekannt waren.

Im zweiten Band, den der Bochumer Historiker Dieter Ziegler verfasst hat, wird das Verhältnis der Dresdner Bank zu den deutschen Juden breit angelegt untersucht. Ähnlich wie Johannes Bähr kommt auch Ziegler zu dem Ergebnis, dass es weniger ideologische, sondern hauptsächlich privatwirtschaftliche, betriebswirtschaftliche kalkulierte Motive waren, die das Handeln der Dresdner Bank bei der "Arisierung" bestimmten. Auch die Mär von hohen Arisierungsprofiten weist Ziegler zurück: Trotz Ermangelung exakter Zahlen machten die Arisierungen nur einen Bruchteil des Gesamtgewinns aus.

In drei Hauptkapiteln nähert sich Ziegler dem Untersuchungsgegenstand. Zunächst wird die Lage der jüdischen Angestellten der Dresdner Bank analysiert. Mit über 500 jüdischen Angestellten beschäftigte die Dresdner Bank die mit Abstand größte Gruppe aller Großbanken. Allein in der Geschäftsleitung waren 1932 von 14 Mitgliedern 10 jüdischer Herkunft. In den Auslandsfilialen der Bank war der Anteil ebenso hoch.

Bis 1937 wurden auf Grundlage des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" Juden aus der Bank entfernt. Zudem kam es 1938 zu einer Kürzung der Betriebsrenten für Juden, die allerdings auf keine gesetzliche Maßnahme zurückgeht, sondern rein willkürlich geschah. Verantwortlich für die "Entjudung" der Bank war u.a. Hans Schippel, der 1933 Walther Frisch ablöste.

Das zweite Kapitel behandelt die Verantwortung der Dresdner Bank bei der Arisierung von gewerblichem Vermögen. Anhand von herausragenden Einzelfällen nähert sich Ziegler dem Thema. Anders als Ludolf Herbst für die Commerzbank, erfolgt keine Konstruktion eines "Normalverlauftyps". Diese Akzentsetzung hat vor und Nachteile. Von Vorteil ist die dichte Beschreibung einzelner Vorgänge, der Leser bekommt hier einen sehr guten und tiefen Einblick in die Geschehnisse. Nachteilig wirkt sich dieser Ansatz allerdings aus, wenn es um die Einordnung der Ergebnisse geht. Sie lassen sich kaum verallgemeinern, d.h. sie bleiben z.T. zu eklektizistisch. Dennoch kommt Ziegler zu dem Ergebnis, dass es keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Großbanken bei der Arisierung gab. Trotz "Arisierungsabteilung" gab es kein einheitliches Vorgehen.

Im dritten Kapitel wird die Enteignung jüdischen Privatvermögens von Emigrierten und Deportierten thematisiert. Im Gegensatz zu anderen Bereichen war der Handlungsspielraum der Dresdner Bank hier sehr gering. Das Beispiel der jüdischen Konten macht dies deutlich. Ab 1939 konnten die Beschlagnahmungen der jüdischen Konten nur noch verzögert aber nicht mehr verhindert werden.

Wie Johannes Bähr in Band 1 so kommt Dieter Ziegler im zweiten Band der NS-Geschichte der Dresdner Bank zu dem Ergebnis, dass die Bank auch bei der Arisierung betriebwirtschaftlich rational vorging. Ihr Ziel, Verluste gering zu halten, konnte durch die strikte und unnachgiebige Politik gegenüber den jüdischen Opfern erreicht werden. Ingesamt konstatiert Ziegler eine "defensive Haltung" der Bank.

Harald Wixforth hat mit seiner Untersuchung zur Expansion der Dresdner Bank in Europa den mit Abstand umfangreichsten Band vorgelegt. Zunächst wird auf die Aktivitäten der Bank in Österreich eingegangen. Dieter Ziegler, ein Mitautor in diesem Band, zeichnet das Engagement der Dresdner Bank in Österreich vor dem "Anschluss" nach. Wixforth konstruiert hier ein "Modell Österreich" mit dem die Dresdner Bank sich auch in der Tschechoslowakei, dem Sudetenland und dem Protektorat Böhmen und Mähren durchsetzen sollte. Nicht ganz unproblematisch, wenn man bedenkt, dass sich die Herrschaftsformen in allen Gebieten stark voneinander unterschieden. Während Österreich in das Deutschen Reich eingegliedert wurde, war beispielsweise Polen "nur" von den deutschen besetzt. Am Beispiel Polen macht Wixforth deutlich, wie sehr sich die Dresdner Bank an den Verbrechen des NS-Regimes beteiligte. Die Kommerzialbank kann als die extremste Auslandsfiliale der Bank bezeichnet werden, da sie eng mit den deutschen Besatzern zusammen arbeitete und oftmals den Pfad des traditionellen Bankgeschäftes verließ. Ein anderes Bild zeigt sich hingegen bei den Aktivitäten der Dresdner Bank in Westeuropa, speziell Belgien, den Niederlanden und Frankreich. Hier überwogen die "normalen" Bankgeschäfte, wenn es auch hier Fälle von Arisierungen gab. Harald Wixforth und die Mitautoren dieses Bandes haben großartiges geleistet. Sie haben deutlich gemacht wie die Dresdner Bank ihr Netz über ganz Europa gespannt hat und zum Teil eng mit den nationalsozialistischen Machthabern vor Ort zusammengearbeitet hat. Die breite Quellenbasis sowie die teils minutiöse Darstellung erlauben es, ein differenziertes Bild der Dresdner Bank in Europa zu zeichnen.

Klaus Dietmar Henke legt mit seinem "schmalen" vierten Band eine Art Gesamtschau und Gesamtinterpretation der Geschichte der Dresdner Bank in der NS-Zeit vor. Ausgehend von der Annahme, dass die nationalsozialistische Diktatur die Handlungsspielräume der Unternehmen und Banken veränderte, ihnen jedoch nicht ihre Autonomie streitig machte, entwickelt Henke methodische Überlegungen zur Dresdner Bank als Gegenstand der unternehmenshistorischen Forschung. Henke charakterisiert die Dresdner Bank als "aktiven Mittäter", der tief in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt war. Da sich für viele Unternehmen nach 1933 Chancen der Organisationserhaltung und der Steigerung des Gewinns ergaben, überschnitten sich vielfach Regimenähe, Mittäterschaft und eigenes Handeln. Es ist die Gesamterkenntnis aller vorliegenden Bände, dass trotz der sich, besonders ab 1939, stark veränderten Rahmenbedingungen, die Weiterentwicklung des normalen Bankgeschäfts im Vordergrund stand und die Unternehmensgeschichte maßgeblich bestimmte.

Nach der Lektüre der über 2400 Seiten bleibt ein überaus positiver Eindruck zurück. Noch nie wurde ein Unternehmen oder eine Bank derart gründlich unter die Lupe genommen. Neben den vielen Einzelaspekten und Besonderheiten ist es vor allem die Einbettung in den historischen Kontext, der dieses Werk lehrreich erscheinen lässt. Es konnte gezeigt werden, wie wirtschaftliche Schwäche, persönlicher Ehrgeiz und politisch-moralische Skrupellosigkeit zu einer unheilvollen Entwicklung führten. Die Dresdner Bank stand damit nicht alleine, auch die anderen Großbanken (Commerzbank und Deutsche Bank) waren ebenso in die Verbrechen des "Dritten Reichs" verstrickt.


von Benjamin Obermüller - 21. Dezember 2006
Die Dresdner Bank im Dritten Reich
Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.)
Die Dresdner Bank im Dritten Reich

De Gruyter Oldenbourg 2006
2374 Seiten, gebunden
EAN 978-3486577808
4 Bände