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Caroline Adhiambo Jakob: The Outsider(s)

Jenseitig des Klischees wartet die Erkenntnis

In ihrem Debütroman "The Outsider(s)" lässt Caroline Adhiambo Jakob zwei Welten aufeinander treffen: Kenia, synonym stehend für den afrikanischen Kontinent, und Deutschland als Synonym der westlichen Welt. Die Unterschiede beider Welten überwiegen gegenüber ihren Gemeinsamkeiten. Konfliktpotential ist damit genügend vorhanden.

Vier Frauen werden stellvertretend für diese Welten ihre gegenseitigen Ressentiments offenlegen und dabei auch an den voreingenommenen Ansichten des Lesers rütteln. Denn wer kann schon von sich behaupten, ohne Vorurteile zu sein? Sinnverwandt heißt es im Prolog: Man kann sein Gegenüber und dessen Verhalten nicht wirklich verstehen, bevor man nicht die Umstände, die Motivationen und Ängste kennt. Dazu kann man hinzufügen, dass man sich selbst nur durch den Blick des Anderen erkennen kann. Die vier Protagonistinnen halten uns dabei einen Spiegel vor.

Irmtraut ist eine erfolgreiche, eher karriere- als selbstbewusste deutsche/westeuropäische Frau auf ihrem Weg nach ganz oben. Die gläserne Decke umgeht sie, indem sie ganz bewusst ihren inneren Schweinehund erst gar nicht an die Leine nimmt. Genauer betrachtet ringt sie, wie jeder Mensch, schlicht um Anerkennung. Mit ihrer Schwester Ramona verbindet sie lediglich der permanente Kampf um die Gunst der Mutter. Ramona verfolgt dabei ein konträres Konzept. Sie ist selbst Mutter von vier Kindern und, als sei das nicht karrierehinderlich genug, naiv aus Überzeugung. Mit Freundlichkeit und Zuvorkommen will sie es schaffen, ihre diffusen Zukunftsträume zu verwirklichen. Dieser Plan geht natürlich gehörig schief.

Menschen wie du und ich also und mit Allerweltsproblemen. Diese erscheinen in Anbetracht des Existenzkampfes von Philister Taa in Nairobi eher als Luxusproblem(chen). Niederträchtige Arbeitgeber und Wellblechhütte stehen dabei an der Spitze des Erreichbaren. Ihre beste Freundin, Tamaa Matano, will aber das Unerreichbare und träumt von der "Startrampe ins Glück". Mit der Startrampe ist ein Flug nach Europa gemeint. Gelingen kann ihr das nur, wenn sie es als Basketballspielerin in die Kenianische Nationalmannschaft schafft. Dieser Traum erscheint noch absurder, wenn man bedenkt, dass Tamaa noch nie in ihrem Leben Basketball gespielt hat. Wie sich dennoch die einzelnen Schicksale zusammenfügen, bleibt dem überraschenden Ende vorbehalten.

Denn die Lebenswege dieser vier, nuanciert dargestellten Protagonistinnen werden sich auf wundersame und amüsante Weise kreuzen.

Jakob präsentiert ihre Figuren ungeschminkt und nackt, und damit lebensecht. Auch die hässlichsten Seiten einer Persönlichkeit werden freizügig offenbart. Es ist in der Tat sehr unangenehm, sich beim Lesen ständig in seiner ganzen Hässlichkeit begegnen zu müssen. Dieser Moment des Wiedererkennens ist natürlich gewollt. Schließlich soll der Leser spüren, dass sich eine Revision des eigenen Weltbildes lohnt um neue Chancen erkennen zu können. Denn jenseitig des Klischees wartet die Erkenntnis: überall wird gehofft - und gekämpft um Würde und Anerkennung.

Es ist mir eine Freude, die Autorin an dieser Stelle vorstellen zu dürfen und sie zu ihrem Roman zu interviewen:

Caroline, du bist eigentlich Erziehungswissenschaftlerin. Was gab dir den Impuls ein Buch zu schreiben?
Caroline: Ich habe schon immer gerne geschrieben. Mit meinem Mann Tobias, der einige Zeit in Kenia gelebt hat, habe ich oft über das Thema Vorurteile und Diskriminierung gesprochen. Meine Freunde aus Kenia und auch hier in Deutschland haben mich zudem häufig gefragt, wie das Leben in Deutschland sei. Daraus entstand bei mir der Wunsch, über mein Leben hier in Mannheim zu schreiben. Beim Schreiben aber musste ich feststellen, dass es mir sehr schwer fiel, über mich selbst zu schreiben. Mir fehlte die Distanz zur Geschichte, zur eigenen Geschichte. Mit der Zeit fing ich an über fiktive Personen zu schreiben. Am Anfang dachte ich, ich dürfe nur schreiben, wenn ich wirklich Lust dazu hätte. Aber mit der Zeit begriff ich, dass es Arbeit war und ich mich disziplinieren musste. Nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten begann ich die Geschichte mit einem Mal flüssiger zu gestalten. Mein Mann hat mich während der gesamten Zeit immer wieder dazu bestärkt: "Mach das. Es ist dir so wichtig und du wolltest genau das schon immer machen." Der andere Grund ist, dass Vorurteile und Diskriminierung in meinem Leben eine ganz besondere Rolle spielen. Da mein Mann und ich aus zwei völlig verschiedenen Kulturen kommen bin ich ständig mit diesen Themen konfrontiert.

Die Figuren sind dir sehr überzeugend gelungen. Sie wirken so lebensnah und überhaupt nicht konstruiert. Liegt das daran, dass man sich als Leser auch in den unsympathisch wirkenden Momenten wieder erkennt?
Caroline: Genau das wollte ich erreichen! Es sind echte Menschen. Die Leser sollen sich in meinen Figuren mit ihren eigenen Vorurteilen und Ängsten wieder erkennen. Auch die als unsympathische, erfolgsorientierte beschriebene Irmtraut ist im Grunde ein Mensch, der sich nicht wesentlich von uns unterscheidet. Tobias (den ich als reflektierten, vorurteilsfreien, offenen Menschen bezeichnen würde) musste auch zugeben, dass er in Kenia ähnliche Ängste hatte wie Irmtraut. Es wäre eine Lüge zu behaupten, man selbst sei vollständig ohne Vorurteile und Ängste.

Ich bin davon überzeugt, dass viele Deutsche ein ähnlich naives Bild von Kenia haben wie Irmtraut. Welches diffuse Bild haben Kenianer von Europa resp. vom "Westen"?
Caroline: Meine Erfahrung ist, dass viele Kenianer oft glauben was sie im Fernsehen gesehen haben. Es gibt tatsächlich viele Kenianer, die sich nicht vorstellen können, dass das Leben im Westen gar nicht so einfach zu gestalten ist. Man kann im Grunde sehr leicht wie Philister Taa scheitern trotz der vielen Möglichkeiten und den vorhandenen Ressourcen.

Gibt es deiner Meinung nach eine allgemein gültige Definition was "Fremdsein" bedeutet?
Caroline: Nein, ich denke nicht. Du wirst von jedem "Fremden" eine andere Definition hören. Ich denke, es liegt daran, dass unsere Wahrnehmungen sehr subjektiv sind und natürlich von unseren Erwartungen stark beeinflusst werden.
Ich habe mal eine Nordkenianerin kennengelernt, die über den Hunger in ihrer Familie berichtet hat. Als größte Demütigung empfand sie dabei, nichts zu Essen zu haben. Dass sie alle kurz vorm verhungern waren trat damit eher in den Hintergrund.
Ich denke so ähnlich verhält es sich mit dem Gefühl des Fremdseins. Es wird meist fälschlicherweise angenommen, dass einem die Distanz zur Familie und zu den Freunden so große Schwierigkeiten bereiten, es ist aber viel subtiler. Sowohl Philister Taa als auch Irmtraut machen diese Erfahrung.

Du hast sowohl in Kenia als auch in Deutschland gelebt. Was sind deine Eindrücke von diesen beiden Kulturkreisen?
Caroline: Es gibt keine universelle Konstante in den verschiedenen Kulturen. Viele Dinge die im Westen selbstverständlich erscheinen werden in Kenia völlig anders definiert. Und natürlich auch umgekehrt. Man muss also bereit sein zu lernen. Dieser Prozess kann sowohl lustig aber auch sehr anstrengen sein.

Das einzig konstante im Leben ist also die Veränderung? Du hast mich gefragt, ob ich glaube, dass wenn man lange Zeit in einem anderen Kulturkreis lebt, mit der Zeit die Denkweise, die Alltäglichkeiten annimmt. Was hast du mittlerweile, wahrscheinlich auch unbewusst, von der deutschen bzw. europäischen Kultur (wenn man von einer europäischen Kultur sprechen kann. Gemeint ist wohl eher "die" westliche, eurozentristische Kultur) angenommen?
Caroline: Als Tobias und ich uns kennenlernten, habe ich mich zum Date auch schon um eine ganze Stunde verspätet. Das ist in Kenia durchaus so üblich. In Deutschland funktioniert das Leben aber nicht, wenn man zu einer Verabredung zu spät kommt. Erscheint man dagegen in Kenia zu früh zu einer Einladung, würde man für verrückt erklärt. Also habe ich daran gearbeitet und komme nun nur noch fünf Minuten zu spät zu Verabredungen.

Eine der Fragen, die dir sicherlich am häufigsten gestellt werden, lautet: Haben deine Protagonisten Ähnlichkeiten mit dir bekannten Menschen? Schreibst du aus deinen persönlichen Erfahrungen heraus oder sind deine Figuren gänzlich deiner Fantasie entsprungen?
Caroline: Diese Frage wollte ich anderen Autoren immer stellen! Ich glaube, dass es ein Mix aus allem ist: meine Eindrücke, Erfahrungen und ganz viel Fantasie. Mit nur einem dieser Aspekte wäre es nicht möglich gewesen, diese Charaktere zu schaffen oder, anders gesagt, diese Geschichte zu erzählen.

Gibt es einen Charakter, der dir besonders am Herzen liegt?
Caroline: Da gibt es auf jeden Fall welche, auf deren Bekanntschaft ich gerne verzichten würde und andere, die ich sehr gernen treffen würde. Das wichtige ist jedoch, dass sie alle einem Ziel dienen. Die Geschichte wäre nicht authentisch würden die unliebsamen Charaktere fehlen.

Die Schere zwischen Arm und Reich ist in Kenia weitaus klaffender als in Deutschland/Europa. Siehst du im aufkeimenden Materialismus der Besserverdienenden von Kenia eine Verrohung der Gesellschaft? Macht es also ein "Wegschauen" angenehmer?
Caroline: Es mag pessimistisch klingen, aber Fairness ist in Kenia eine Illusion. In Deutschland existiert immerhin ein soziales System. Während in Deutschland etwa 10% der Gesamtbevölkerung zu den Top-Verdienern zählen, sind das in Kenia ca. 2%. Dafür besitzen in Deutschland diese 10% ungefähr 50% des Landeseinkommens. In Kenia besitzen die 2% dagegen bis zu 90%! Die Schere ist enorm klaffend. Aber auch in Deutschland scheint sich diese Schere immer weiter zu öffnen. Deutschland galt immer als ein Vorbild, aber wenn es sich hier ebenfalls verschlechtert, dann besteht ja keine Hoffnung auf Besserung in Kenia. Und Menschen neigen eher dazu, alles beim Alten zu belassen und sind schwer zu überzeugen, dass sich etwas ändern muss. Ganz im Gegenteil besteht nämlich sogar die Gefahr, von den eigenen Mitmenschen, Freunden und Verwandten als Außenseiter abgestempelt zu werden, falls man den Mut aufbringt, etwas zu sagen. In diesem Fall fällt eine Entscheidung nicht leicht. Andererseits stellt sich auch die Frage, wie man weiterleben will mit dem Wissen, nichts für eine Veränderung unternommen zu haben.

Wie siehst du Kenia nach deinem Wegzug? Was hat sich dort verändert? Zum Guten und zum Schlechten? Wie also bewertest du die aktuelle Lebenssituation in Kenia?
Caroline: Das ist schwer zu sagen. Manchmal denke ich, dass die Dinge sich sehr verbessert haben. Und manchmal bin ich geradezu geschockt über die Zustände. Letztes Jahr während unseres Kenia-Aufenthaltes musste ich feststellen, dass die Preise für alltägliche Güter wie Zucker, Bratfett etc. mit den Preisen in Deutschland vergleichbar sind. Du kannst dir vorstellen, was das für ein Land bedeutet, in dem die Menschen sehr viel weniger verdienen als hier…ein Durchschnittslohn in Kenia liegt bei etwa 300 Euro im Monat!

Die Gespräche mit dir regen immer zum Nachdenken an. So auch dein Roman, worin sich deine Persönlichkeit zu spiegeln scheint (ohne auf irgendwelche autobiografische Züge andeuten zu wollen). Wie siehst du das? Schließlich fließt ein Teil des eigenen Erfahrungshorizontes immer in die Fiktion hinein.
Caroline: Du hast Recht. Ich bin in der Tat fasziniert davon, wie komplex das Leben ist. Viele einfache Fragen des Lebens sind nicht einfach zu beantworten. Meiner Erfahrung nach gibt es keine generell guten oder schlechten Menschen. Die Umstände spielen eine wesentliche Rolle wie sich Menschen verhalten oder zu was sie werden. Die Charaktere in meinem Buch sind weithin durch ihre Umstände beeinflusst. Wenn man die Lebenslagen von Philister Taa, Ramona, Irmtraut und Tamaa Matano kennt, fällt es auf einmal schwer, sie zu verurteilen. Einerseits ist das gut, anderseits fordert uns diese Tatsache heraus, uns selbst zu hinterfragen, wie wir in einer solchen Situation reagieren würden.

Letztlich hast du für das Schreiben zwei Jahre benötigt. Wie empfindest du die Zeit im Nachhinein?
Caroline: It was a lot of fun. Ich habe eine Beziehung entwickelt zu den Figuren, die ich erfunden habe. Sie sind zu einer Art Realität für mich geworden. Beim Schreiben und Kreieren befindet man sich in einer anderen Welt. Man hat die Macht, alles so zu gestalten, wie man es will. Diese Möglichkeit hat man im realen Leben oft nicht.

Du erzählst geradlinig, anscheinend ohne ein Wort zu viel zu verlieren und hast dennoch alles auf einen Punkt gebracht. Verrate mir das Geheimnis, sich kurz zu fassen und dennoch seinen Gedanken den nötigen Rahmen zu geben.
Caroline: Ich habe versucht, die Geschichte möglichst straff und konzentriert zu halten. Die ersten Entwürfe waren immer sehr komplex. Aber je mehr ich an ihnen arbeitete, desto strikter wurden sie. Es besteht kein Unterschied zu einer wissenschaftlichen Arbeit außer der Tatsache, dass du mehr Freiheiten hast. Ich habe immer versucht, in Erinnerung zu behalten, welche Botschaft ich vermitteln wollte. Dieser Prozess erfordert eine Menge mentale Disziplin, besonders wenn ich dazu tendierte, abschweifen zu wollen und über Dinge wie beispielsweise das Wetter, schreiben wollte/zu schreiben begann. Es hat auch sehr geholfen, dass es Menschen gab, die diese Entwürfe lasen und mir Feedback gaben. So yeah, discipline is the key word.

Wird das Buch auch in Kenia verlegt?
Caroline: Hoffentlich….daran arbeite ich.

Welche Resonanzen hast du schon gehört?
Caroline: Bisher haben nur meine Freunde und Familie das Buch gelesen… soweit ich weiß.

Wie würdest du das Buch kurz zusammenfassen?
Caroline: In meinem Buch geht es um Vorurteile. Will man einen Menschen verstehen, warum er sich in einer bestimmten Weise verhält, muss man um die Umstände seines Verhaltens wissen. Das gilt genauso für den kulturellen Background als auch für die Motivation. Vorurteile können nämlich sehr gefährlich sein. Bei den Wahlen in Kenia 2008 wurden sehr viele Menschen verhaftet oder sogar umgebracht, nur weil sie einem bestimmten Stamm angehörten, den man gewisse Eigenschaften/Meinungen etc. unterstellte. Es war also für viele sehr gefährlich, ihren Pass zu zeigen. Anhand des Namens (bzw. des Zweitnamens) kann man nämlich leicht erkennen, welchem Stamm man angehört. Das Schwierige an Vorurteilen ist allerdings, dass sie natürlich an anderen Menschen leichter zu erkennen sind als an einem selbst. So können sogar diejenigen, die sich für besonders offen und vorurteilsfrei halten, sehr wohl zu Rassismus (sog. positiver Rassismus. Anm.d.A.) neigen.


Vielen Dank für das Gespräch und ich freue mich schon auf dein kommendes Buch!


von Helena Kotarlic - 20. Oktober 2012
The Outsider(s)
Caroline Adhiambo Jakob
The Outsider(s)

Authorhouse 2012
180 Seiten, gebunden
EAN 978-1477203774
Sprache: Englisch