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Bernhard Schlink: Das Wochenende

Ideologien und ihr Scheitern

Zwanzig Jahre ist Jörg, ehemaliges Mitglied der RAF, im Gefängnis gewesen, bis er vom Bundespräsidenten begnadigt wird. Endlich frei, verbringt er sein erstes Wochenende außerhalb von Mauern auf einem abgelegenen und heruntergekommenen Gut in Brandenburg, in der Gemeinschaft alter Freunde.

Jahrzehnte nach Ende der Studentenunruhen und des Protests versammelt der Erfolgsautor Bernhard Schlink einige der Revolutionäre von einst. Sie alle haben sich in einem bürgerlichen Leben eingerichtet und die Erinnerungen - an 1968 und das gemeinsame Aufbegehren gegen die Generation der Väter, an gesellschaftliche Gegenentwürfe, an Radikalismus und Terrorismus - und alten Überzeugungen sind verblasst und spielen im alltäglichen Leben keine Rolle mehr. Doch während sich die Freunde neu definiert haben, ist es Jörg, dem einzigen, der seinerzeit in die Illegalität gegangen ist und wegen Mordes verurteilt wurde, nicht gelungen, eine stabile Persönlichkeit auszubilden. Den Bezug zum normalen Leben, den Kontakt zu Frau und Sohn, die Fähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen, all das hat er seiner Radikalität geopfert. Erst eine schwere Krebserkrankung hat ihn bewogen, seine Haltung aufzugeben und ein Gnadengesuch zu stellen, um die letzten Jahre in Freiheit zu verbringen.

Mit seinem Roman "Das Wochenende" wendet sich Schlink denen zu, die einst mit Gewalt versucht haben, das politische System der Bundesrepublik Deutschland zu verändern und fragt, was aus ihnen geworden ist. Indem er das vollständige Scheitern der Lebensweise Jörgs darstellt, erhebt der Text den ehemaligen Terroristen zum Paradigma, um sich in eindrucksvoller Weise zu einer grundsätzlichen Kritik an Ideologie und Radikalismus zu weiten. Nicht nur, dass Jörg mit seinen Anschlägen Unschuldige getötet hat, nicht nur, dass er, indem er sich total hingegeben hat, sein Leben und seine besten Jahre geopfert hat. Der Glaube und der Kampf, für die er einst eintrat, haben ihre Ziele verfehlt, sie spielen in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts keine Rolle mehr und sind, selbst im Kreis der ehemaligen Freunde, weitgehend vergessen. Nichts weniger wird deutlich, als dass Ideologien vergänglich sind und keine stabilen Identitäten stiften können. Was bleibt, ist die Frage nach den Opfern, die eigenen vertanen Gelegenheiten und Jahre und am Ende ein gescheitertes Leben.

Bernhard Schlink hat mit "Das Wochenende" eine beeindruckende Analyse des Ideologen und seines Scheiterns verfasst, die jeden politischen Menschen nachdenklich und kritisch gegenüber Konzepten und Ideen stimmen sollte.


von Stephan Scholz - 05. Juni 2008
Das Wochenende
Bernhard Schlink
Das Wochenende

Diogenes 2008
240 Seiten, broschiert
EAN 978-3257066333