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Michael Mueller: Canaris

Der konservative Revolutionär

Admiral Wilhelm Canaris wurde als Adolf Hitlers Chef des militärischen Geheimdienstes ebenso verehrt wie gehasst. Als angeblicher "Verschwörer gegen den Führer" wurde er kurz vor Kriegsende hingerichtet. Kaltblütiger Geheimdienstler oder Soldat mit Gewissen - eine neue Biographie versucht Antworten zu geben. Von Bert Große

Wilhelm Canaris (1887 - 1945) zählte sicher zu den umstrittensten Personen im nationalsozialistischen Deutschland, auch wenn sich heute nur noch Eingeweihte an ihn erinnern. In der deutschen Nachrichtenabwehr wurde er als genialer Geheimdienstoffizier verehrt. Politische Gegner gingen in ihrer historischen Bewertung seiner Person auf Grund seiner unrühmlichen Militärvergangenheit bei der Niederschlagung der Weimarer Republik hart mit ihm ins Gericht.

Als geschworener Antikommunist machte der Dortmunder Berufssoldat eine militärische Karriere nie gekannten Ausmaßes. Seine nie unterdrückte Gegnerschaft zu Hitlers Nationalsozialisten brachte ihn schließlich an den Galgen. Michael Müllers neue Biographie "Canaris, Hitlers Abwehrchef " versucht, ein differenziertes Bild des schillernden Militärs zu zeichnen.

Der Kampf gegen die Republik

Canaris wird am 1. Januar 1887 als Sohn eines wohlhabenden Industriellen in Dortmund geboren. In "guter alter" Junkertradition entwickelt er früh Interesse an einer militärischen Laufbahn und meldet sich nach seinem Abitur als Freiwilliger bei der Marine. Ebenso fähig wie ehrgeizig gelingt ihm schnell der Aufstieg in der kaiserlichen Flotte. An Bord des deutschen Kriegsschiffes "Dresden" wird er 1914 in Südamerika vom Ersten Weltkrieg überrascht, nach Kreuzerkrieg und Versenkung durch die Briten gelingt ihm eine abenteuerliche Flucht aus der chilenischen Internierung zurück nach Deutschland. Im Anschluss dient er unter anderem als U-Boot-Kommandant.

Nach dem Krieg verbleibt er als Berufsoffizier in der Reichswehr und entgeht zumindest der Arbeitslosigkeit. Als geschworener Antikommunist steht er den reaktionären Freikorps nahe. Canaris bekämpft an führender Stelle die "Roten Matrosen". Als militärische rechte Hand von Gustav Noske, damals Kieler Gouverneur und später berüchtigter Reichswehrminister ("Einer muss der Bluthund sein."), war er in die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verwickelt. Auch Müller kann allerdings nicht eindeutig klären, ob Canaris von den politischen Morden im Januar 1919 nur gewusst oder sie sogar aktiv befördert hatte. Als Richter im anschließenden Militärgerichtsverfahren wirkt er jedenfalls aktiv an den milden Strafen für die Mörder mit. Aus seiner Ablehnung der schwachen Weimarer Demokratie hat Canaris jedenfalls nie einen Hehl gemacht.

Der Aufstieg

Hitlers Machtergreifung erlebt er als Schlachtschiffkommandant. Auch wenn wenig darüber bekannt ist, wie er den Nationalsozialisten anfangs ideologisch begegnete, so dürfte Hitlers Absicht, den Versailler Vertrag zu brechen und militärisch aufzurüsten, für Begeisterung gesorgt haben. 1934 gelangt Canaris zu seiner endgültigen Bestimmung - er übernimmt im Alter von 47 Jahren die Abteilung Abwehr im Reichswehrministerium.

Noch aber haben die Siegermächte des Ersten Weltkriegs die Hoheit über deutsche Bestrebungen zur Aufrüstung. Auch die Flotte ist gezwungen, nach Ausweichlösungen im Ausland zu suchen. Nicht zuletzt dank Canaris' nimmermüden Engagements wird man in Francos faschistischem Spanien fündig. Canaris, der zeitlebens über hervorragende Kontakte in den spanisch-sprachigen Teil der Welt verfügte, erreichte eine umfassende Zusammenarbeit im Flottenbau. Mehrfach ist er in Spanien und Portugal verdeckt im operativen Einsatz tätig. Müller beschreibt diese Phase seines Lebens als regelrechte Agentenzeit mit falschen Identitäten, Spionageeinsätzen und spektakulären Fluchten.

Innerdeutsch brachten seine Erfolge und das daraus folgende gute Ansehen bei Hitler zahlreiche Neider auf den Plan. Vor allem die Doppelstruktur aus militärischem und Parteiapparat sorgte für gnadenlose Machtkämpfe. So sollte Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, sein schlimmster Feind werden. Die beiden Führernaturen und Nachbarn in Berlin-Schlachtensee kamen offiziell zwar auch privat gut miteinander aus, aber wie Müller bemerkt, war das nur Fassade. Die Niederlage im Machtkampf gegen die SS sollte schließlich dazu beitragen, Canaris an den Galgen zu bringen.

Der Untergang

Bei aller Unterstützung zur Wiedererlangung deutscher Großmachtstärke blieb Canaris doch erbitterter Kriegsgegner. Noch 1939 versucht er, den Krieg zu verhindern, indem er seinen Einfluss auf italienische Gewährsleute geltend macht, Hitlers Pläne nicht zu unterstützen. Vergeblich. Nach außen steht er dem NS-System trotzdem loyal gegenüber, nach innen bietet er seinen engen Mitarbeitern Hans von Dohnanyi und Hans Oster Schutz bei deren Arbeit gegen Hitler Unterstützung. Vor allem gegen das "Unternehmen Barbarossa", der Angriff auf die Sowjetunion, richtet sich sein Widerstand, nachdem er den Vernichtungskrieg in Polen miterlebt hatte. Im Kampf gegen die allmächtige SS hingegen schwindet sein Einfluss.

1943 wird Hans Oster verhaftet, Canaris seitdem überwacht. Bei den Verschwörern des 20. Juli werden belastende Unterlagen gefunden. Obwohl Canaris ein Attentat auf Hitler stets abgelehnt hatte und nur begrenzten Kontakt zu den Verschwörern hatte, wird er im April 1944 verhaftet. Monatelange Verhöre bleiben erfolglos, nur zufällig findet ein SS-Offizier in der Kaserne Zossen bei Berlin Canaris' Privattagebücher in einem verstaubten Safe. Sein Schicksal ist besiegelt, Hitler befiehlt persönlich seinen Tod. Am 9. April 1945, nur wenige Tage vor dem Eintreffen der Amerikaner, wird Canaris im Konzentrationslager Flossenbürg gemeinsam mit Oster und Dietich Bonhoeffer ermordet.

Heute noch rätselhaft

Michael Müller gelingt es in beeindruckender Weise, die Person Canaris in ihrer Dichotomie aus Antikommunismus und Antinationalsozialismus zu zeigen. Als konservativer, geistig zutiefst preußischer Berufssoldat war er ein echtes Kind seiner Zeit, sicher vergleichbar mit Erwin Rommel oder dem ihm gut bekannten Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Canaris militärische Leistungen als Abwehrchef wurden auch von seinen Gegnern nie bestritten.

Der Autor vermag es sprachgewaltig und faktengenau, Canaris als Person und Soldaten in seine Umwelt einzuordnen. Als Biograph steht er Canaris kritisch-distanziert gegenüber. Daher kann der Band bedenkenlos allen empfohlen werden, die bereit sind, ihre Meinung über den konservativen Revolutionär zu überprüfen. Eine bessere Biographie zu Hitlers umstrittenem Abwehrchef ist derzeit am deutschen Markt nicht zu haben.


von Bert Große - 08. November 2006
Canaris
Michael Mueller
Canaris

Hitlers Abwehrchef
Propyläen 2006
575 Seiten, gebunden
EAN 978-3549072028