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Michael Kimmel: Angry White Men

Mehr Diversität, weniger Zorn

Der "Zorn", den der Autor des vorliegenden Buches für die weißen Amerikaner konstatiert, ist seit 2013 - dem Erscheinen der vorliegenden Biographie des amerikanischen Underdogs - bedenklich angewachsen und hat nicht zuletzt zur Wahl eines Präsidenten geführt, der am 8. November 2016 genau jene Männer hinter sich versammelt, die in diesem Buch als "Angry White Men" bezeichnet werden. Umso aktueller ist die vorliegende Publikation immer noch, da sie diesem Zorn des weißen Mannes auf den Grund zu gehen versucht.

"The Forgotten (White) Man"

"Wir holen uns unser Land zurück!" lautet eine der Parolen des sog. White Trash, der jene meint, die sich vor allem gegen Frauenemanzipation, Farbige, Homosexuelle, Immigranten und die Ostküste ganz allgemein richten und sozial unterprivilegiert sind. Die ehemals als WASPs gebrandmarkten sehen ihre Privilegien davonschwimmen und befürchten, dass die Gleichberechtigung anderer Bevölkerungsgruppen vor allem auf ihre Kosten geht. Die "White-Anglo-Saxon-Protestants" (WASP) stellten lange Zeit die Spitze der Führungsriege des "Lands of the Free", das eigentlich - laut Verfassung - ja jedem Amerikaner die Möglichkeit zum "pursuit of happiness" einräumt. Sie glauben, einst an der Macht gewesen zu sein, dabei hatten sie nie Rechte, diese Klasse der Weißen, die zur Klasse der Unterprivilegierten gehört. "Die USA sind im Begriff, eine sozial immer gleichere und wirtschaftlich immer ungleichere Gesellschaft zu werden.", schreibt Kimmel und trifft damit wohl den Kern des Problems, ohne den der soziale Frieden nicht mehr zu erringen sein wird: Umverteilung. Aber wer verzichtet schon gerne auf seine Vorrechte, ohne dafür eine Kompensation zu bekommen? Eben.

Der Professor, der Soziologie und Geschlechterforschung an der Stony Brook University in New York lehrt, gibt anfangs zu, selbst zornig zu sein, aber freilich ohne sich politisch einzuordnen oder zu den finsteren Gesellen hinzuzuzählen. Denn er ist vor allem auch froh darüber, in einer Gesellschaft zu leben, die noch nie weitergehende Rechte für Minderheiten gewährte, als es heute in den USA der Fall ist, auch wenn die Klassenfrage damit auch für ihn - vorläufig - unbeantwortet bleibt. "Es besteht kein Zweifel, dass der Lauf der Geschichte zu mehr Gleichberechtigung führt, langsam und sprunghaft zwar, aber letztlich unvermeidlich", so der Geschichtspositivist Kimmel. Sein Buch handelt davon, wie Rechtsansprüche aufgrund von Rasse oder Geschlecht als unumstößlich angenommen werden und wie weiße Männer in den USA stets "mit Rückenwind gelaufen sind" und es keine Leistungsgerechtigkeit und Fairness in einem unfairen System geben kann.

Kimmel blickt nicht nur auf die Geschichte des "zornigen weißen Mannes" in den USA zurück, sondern untersucht auch die Männerrechtsbewegung und die Amokläufe am Arbeitsplatz und in Schulen. Den weißen Suprematisten - die an die Überlegenheit des weißen Mannes glauben - ist ebenso ein eigenes Kapitel gewidmet, wie den "Zornigen weißen Vätern". Als Ursprung des Zorns gibt Kimmel übrigens den Zusammenbruch der ländlichen Gemeinden an: "die extreme Rechte tauchte bei der Versteigerung von Farmen auf und tröstete die betroffenen Familien". Rassismus verberge sich oft hinter dem Wort Klasse, so Kimmel, bei den Rechten sei das genau umgekehrt. Das Rassenbewusstsein der unterprivilegierten Weißen sei ein Klassenbewusstsein, allerdings mit umgedrehten politischen Vorzeichen. Ach ja: und am Ende unterstützen sie genau die Leute, die dafür verantwortlich sind, dass sie ihre Jobs verloren haben und ihre Familien hungern. Irgendwoher kommt einem das alles bekannt vor, oder?

"Der Zorn der weißen Amerikaner aus der Mittelschicht ist berechtigt, doch er richtet sich nicht gegen die Verantwortlichen, sondern gegen die Schichten, die ökonomisch unter ihnen stehen.", schreibt Kimmel und spricht damit auch eines von vielen Lösungsmodellen der Probleme mit der weißen Unterschicht an, denn es ist vor allem die Umverteilung in den USA, die fehlt. "Um ihren Zorn zu besänftigen, muss man sie dazu "ermächtigen" eine neue Definition von Männlichkeit anzunehmen, die von falschen Ansprüchen abgekoppelt ist." Nur dann könnten sie sich auf eine egalitäre Zukunft einlassen, die ohnehin unvermeidlich sei, so Kimmel. Diversitätsprogramme hätten ohnehin bewiesen, dass Männer, die in die Arbeit eines Haushalts eingebunden sind oder sich gleichberechtigt an der Kinderbetreuung beteiligen, weniger zornig sind. Schon FDR (Franklin Delano Roosevelt) hatte 1932 gefordert, die trickle-down-Politik Hoovers umzukehren und "dem kleinen Mann wenigstens so viel Hilfe zu leisten, wie er jetzt den großen Banken und Konzernen leistet". (FDR in einer Radiorede über den "Forgotten Man" am 7. April 1932) zitiert Kimmel den letzten großen (weißen) Präsidenten der USA und beweist erneut, dass sich die Geschichte immer zweimal wiederholt: einmal als Tragödie und dann als Farce.


von Juergen Weber - 09. November 2016
Angry White Men
Michael Kimmel
Angry White Men

Die USA und ihre zornigen Männer
orell füssli 2013
351 Seiten, gebunden
EAN 978-3280055878